Hallo, Zukunft!

Nach dem Abitur liegt einem die Welt zu Füßen. Doch manch einen beschleicht die Angst vor Veränderung. Wie lässt sich die Angst vor Umbrüchen und Neuanfängen in den Griff bekommen?
AUTOR: STEFANIE MAECK | ILLUSTRATIONEN: KARIN LUBENAU | 2017/2

 

Wenn die Abiturreden gehalten werden und die Eltern stolz auf ihre Fotoapparate drücken, fühlen sich alle stark, schlau und selbstbewusst. Doch bereits kurz nach dem Abitur kriecht sie hoch: die Zukunftsangst. Entscheidungen wollen getroffen, Studienfächer gewählt, ein Auslandsjahr geplant, die Weichen für den Wohnort und das internationale Praktikum gestellt werden. Viele junge Menschen ergreift angesichts dieser Multioptionen regelrecht Panik.

Das Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg registrierte bereits 2013 einen steigenden Beratungsbedarf unter jungen Studierenden. Mehr noch: Einige erschienen den Beratern regelrecht erschöpft und sorgenvoll in ihre Zukunft zu blicken. Bei rund 7.800 Bachelorstudiengängen wundert das nicht.

Petra Holler, die ehemalige Leiterin der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks München, bemerkt im Vergleich zu früheren Generationen einen neuen Typ, der plötzlich über Leistungsdruck und Versagensängste klagt. 

Holler erscheint die Generation ängstlich und angepasst. Ruhe und Nichtstun, sagt sie, würden diese neuen Studenten kaum zulassen. Ihr Kollege Wilfried Schumann, Leiter des Psychologischen Beratungsservice von Universität und Studentenwerk Oldenburg, beobachtet, dass ein Studienwechsel als katastrophal empfunden wird und sich die jungen Menschen lieber durch ihr Studium quälen: „In den Köpfen der Studierenden spukt das Ideal eines linearen, möglichst effizienten Lebensweges, der schnell verwertbar sein soll“, sagt Schumann.

Als regelrecht „synthetisch“ und „fiktional“ bezeichnet Schumann diese Idee eines glatten Lebenslaufs. Doch da sich alle an diesem Ideal orientieren, werde der Wunsch nach einem Ab- oder Umbruch des Studiums heute als krisenhaft empfunden.

Den Studiengangwechslern erklärt Schumann daher, dass sie in guter Gesellschaft sind: Bis zu einem Drittel pro Fach wechsele ihr Studienfach. Was aber steckt psychologisch hinter dem wachsenden Konkurrenzdruck und der Versagensangst? Es ist ein neues gesellschaftliches Klima aus Abstiegsangst und Optimierungsdenken, das die Studenten nach Karrieresicherheit streben lässt. 

Der Soziologe Heinz Bude spricht von einer „Gesellschaft der Angst“, in der die Furcht vor dem Abstieg zur zentralen sozialen Kraft geworden ist. Er glaubt, dass Menschen, die fürchten, abgehängt zu werden, sich keine Umwege im Leben erlauben und an ihrer Lebenslaufoptimierung schrauben. Die Studenten von heute wirken wie „Allesrichtigmacher“, die sich um das richtige Prak­ti­kum, den richtigen Auslandsaufenthalt und die richtige Studienwahl sorgen. Folglich steigen Druck, Erschöpfung und psychosomatische Erkrankungen. Mit der Umstellung auf das straffe Bachelorcurriculum steigen die Erwartung tippbezogener Empfehlungen und der Hang zur Unselbstständigkeit.

Doch den eigenen Weg zu finden, braucht Zeit: Irrwege und Umwege gehören zur Entwicklung und zum individuellen Wachstum dazu. Die Erfahrung des Zweifelns, sagt Petra Holler, ist eine wichtige Erfahrung. 

Doch das ist leicht gesagt, wenn sich das Sorgenkarussell dreht. Wilfried Schumann rät zu mentalem Training, Techniken, die dem Spitzensport entlehnt sind. Er hilft seinen Studenten damit, ihre Situation neu zu bewerten. Aus einem Versagen angesichts von Wechselwünschen zeigt er den Studenten, dass sie mit der Entscheidung zur Veränderung eine mutige Entscheidung getroffen hätten. Und: Es sei normal, nach dem Abitur nicht zu wissen, was das Richtige für einen ist und den eigenen Weg nicht zu kennen.

Schumann empfiehlt seinen Studenten auch, sich möglichst wenig zu vergleichen: „Das ist der schnellste Weg, um unglücklich zu werden. Es gibt immer andere, die schneller, klüger oder schöner sind.“

Psychologen wissen, dass Sorgen dann Überhand nehmen, wenn wir unsere Fähigkeiten angesichts einer neuen Situation als ungünstig bewerten. Wilfried Schumann rät daher, möglichst oft die eigene Ressourcenbrille aufzusetzen: „Welche Situationen habe ich schon erfolgreich gemeistert?“ So bildet sich Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. 

Wie aber soll man der Angst vor einem Neubeginn begegnen? Die Berater empfehlen Mut zu eigenen Lebensträumen, zum Ausprobieren und Gelassenheit sowie die Akzeptanz, dass Umwege und Orientierungslosigkeit zum Leben gehören und Wege zum Lebensglück sind.

Der Berliner Hochschulpsychologe Hans-Werner Rückert weiß, dass Reflexion und Autonomie verkümmern würden, aber kritisches Denken gehört zum Wachstum. Das lässt sich nicht in einem möglichst effizienten und knappen Bachelorstudium erwerben. Es kann sehr lohnend sein, zu sagen: Mein Weg dauert länger – und das ist gut so. Eigentlich bräuchte sich die jetzige Generation nicht so viele Sorgen machen – sie ist jung und gut ausgebildet. Sie muss nur leben – und ihr Jungsein genießen.


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