„Zweisprachige Menschen haben einen erweiterten Blick auf die Welt“

Mehrsprachigkeit hilft, Toleranz für anderssprachige Menschen und Kulturen zu entwickeln. Professor Matthias Hutz über interkulturelle Kompetenzen in Zusammenhang mit der Immersionsmethode
AUTOR: MATTHIAS HUTZ | PHOTO: SILKE WEINSHEIMER | 2016/1

 

„Unser Lehrer redet oft über Ahornsirup und Kanada“, sagte mir einst eine Phorms-Schülerin aus Berlin. „Mit den amerikanischen Lehrern, mit denen redet man einfach auch ganz anders, finde ich“, erzählte eine andere Schülerin. Schnell wird hier klar: Eine neue Sprache zu lernen ist weit mehr als das Lernen von richtiger Aussprache, von Wortschatz oder Grammatik. Wenn man über das Lernen einer Fremdsprache spricht, wird oft übersehen, dass Sprache und Kultur untrennbar miteinander verbunden sind.

Alltägliche Kommunikationssituationen, wie eine Begrüßung oder ein Kompliment, sind häufig nicht universell, sondern kulturell geprägt. Auch zwischen dem Englischen und dem Deutschen gibt es zahlreiche Unterschiede hinsichtlich der sprachlichen Realisierung solcher Situationen. Eine typische Schülerfrage wie „Can I go to the toilet?“ mag grammatikalisch korrekt sein. In englischsprachigen Ländern wird diese Frage aber häufig als viel zu explizit und direkt empfunden. Mittels Sprache werden somit fortwährend auch kulturelle Inhalte, Normen und Vorstellungen transportiert.

Als Folge der Erkenntnis, dass Sprache und Kultur unvermeidlich zusammengehören, hat man sich in den vergangenen drei Jahrzehnten im Fremdsprachenunterricht verstärkt mit dem interkulturellen Lernen beschäftigt. In vielen Bildungsplänen und in dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen wird mittlerweile interkulturelle kommunikative Kompetenz (IKK) als zentrales Lernziel angesehen. Das Konzept der interkulturellen Kompetenz ist dabei sehr vielschichtig.

Interkulturell kompetent zu sein, bedeutet unter anderem, Wissen über fremde Kulturen zu besitzen und die möglichen Unterschiede zwischen der eigenen Kultur und den „fremden“ Kulturen zu erkennen. Auch der Respekt gegenüber anderen Kulturen und die Fähigkeit, ein intercultural speaker zu sein, stehen hier im Vordergrund. Letzteres ist in Zeiten der Globalisierung unabdingbar. Ein inter cultural speaker besitzt die Kommunikationsfähigkeiten, die es ihm ermöglichen, sich mit Menschen aus anderen Kulturen und anderen Sprachen in angemessener Weise zu verständigen. Dies erlangt in einer zusammenwachsenden Welt immer mehr an Bedeutung, da vor allem die Fremdsprache Englisch als Lingua franca benutzt wird. Das heißt, dass in sehr vielen Situationen Lerner nicht nur mit Muttersprachlern sprechen, sondern auch mit Menschen, deren Muttersprache ebenfalls eine andere ist und somit Englisch als gemeinsame Sprache zur Verständigung gewählt wird.

Man geht davon aus, dass Immersionsschulen diese Kompetenzen auf eine sehr natürliche Weise vermitteln. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Phorms-Schulen durch die Pädagogische Hochschule Freiburg wurde auch der Erwerb der interkulturellen Kompetenz der Schüler untersucht. Es ist offensichtlich, dass interkulturelles Lernen parallel zum Spracherwerb von Beginn an stattfindet.

Die Internationalität der Schulen spielt dabei eine wichtige Rolle. Auf dem Phorms Campus München sind beispielsweise 40 unterschiedliche Nationalitäten vertreten. Die Schülerinnen und Schüler sind von Anfang an mit einem hohen Maß an sprachlicher und kultureller Vielfalt konfrontiert, die sie bereits nach kurzer Zeit als sehr natürlich empfinden.

Auch die Lehrerkollegien sind an allen sieben Standorten international zusammengesetzt. An den meisten Einrichtungen stammt rund die Hälfte der Lehrkräfte aus verschiedenen englischsprachigen Ländern, wie Kanada, den USA, Großbritannien, Australien oder Irland. Sehr viele der Lehrkräfte – auch die deutschsprachigen – verfügen über ein hohes Maß an Auslandserfahrung und sind zum Teil sogar selbst bilingual aufgewachsen.

Die internationale Lehr- und Lernkultur spielt also auch eine große Rolle beim Erwerb von interkulturellen Kompetenzen. Da die Phorms-Lernkultur einen flexiblen und individuellen Einsatz von Lehrstilen erlaubt, kommen die Schülerinnen und Schüler täglich mit einer Vielfalt unterschiedlicher Lehr- und Lernformen in Berührung und profitieren von dieser Diversität.

Die sogenannte early morning routine, bei der die Kinder von ihren Erlebnissen berichten können, die reading week challenge oder die wöchentliche assembly sind Beispiele für die vom englischsprachigen Raum geprägte Lehr- und Lernkultur. Von Beginn an erleben Schüler eine Reihe von Ritualen und Routinen, wodurch sie wertvolle interkulturelle Erfahrungen machen.

Indem Feste und Gebräuche in den Unterricht integriert werden oder ein cultural day angeboten wird, kann eine Sensibilisierung für kulturelle Themen und eine Wertschätzung anderer Kulturen erreicht werden. Diese interkulturellen Unterrichtsinhalte können in allen Fächern angewendet werden.

Immersionsschulen bieten den Vorteil, dass die Sprachkompetenz quasi nicht nur „nebenher“ erworben wird, sondern durch die alltäglichen Unterrichtserfahrungen und den damit einhergehenden unmittelbaren Kontakt mit Muttersprachlern aus verschiedenen Herkunftsländern zahlreiche interkulturelle Erfahrungen gemacht werden können. Auf lange Sicht kann dies zu einer hohen interkulturellen Kompetenz führen. Neben einem hohen Maß an kulturellem Wissen schließt dies auch Aspekte wie Empathiefähigkeit, Toleranz und Flexibilität im Umgang mit diversen Interaktionspartnern anderer Kulturen mit ein.

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Matthias Hutz ist Professor für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Zuvor hatte er die Professur für Anglistik, interkulturelle Kommunikation und Sprachlehrforschung an der Universität Wuppertal inne.

Seit März 2012 leitet er gemeinsam mit Professor Olivier Mentz ein Forschungsprojekt zur Immersionsforschung, in dem die bilingualen Phorms-Grundschulen wissenschaftlich begleitet werden und das Konzept analysiert wird. 


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