Ab ins Sprachbad

Yared Dibaba ist nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein sprachliches Multitalent. Mit vier Jahren tauchte der gebürtige Äthiopier mit allen Sinnen in die deutsche Kultur und Sprache ein und lernte immersiv Deutsch. Mittlerweile kann der Plattdeutsch-Liebhaber nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Oromo, Swahili, Amharisch und Französisch schnacken
FOTO: OLIVER REETZ | 2016/1

 

Bildungsthemen: Yared, du hast eine faszinierende Lebens- und Sprachgeschichte. Wo hat alles begonnen?

Yared Dibaba: Im südlichen Teil Äthiopiens in der Region Oromia, um genau zu sein. Dort bin ich geboren. Die erste Sprache, die ich gelernt habe, war also die kuschitische Sprache Oromo.


Du sprichst ja perfekt Deutsch. Ist Oromo trotzdem deine Muttersprache?

Absolut. Deutsch kam erst später dazu. Ich spreche zwar Deutsch wie ein Muttersprachler, vielleicht sogar besser als der eine oder andere, der in Deutschland geboren ist, dennoch ist die Sprache meiner Mutter Oromo.


Gibt es zwischen dem Deutschen und dem Oromo sprachliche Ähnlichkeiten?

Es gibt ein paar ähnliche Wörter, die eine komplett andere Bedeutung haben. Zum Beispiel ist der Name Gaby in Deutschland geläufig. In Oromo bedeutet das aber etwas ganz anderes, nämlich Wolldecke. Und der Name Anna bedeutet in Oromo „Ich“.


Wie kamst du nach Deutschland?

Meine Eltern hatten in Deutschland studiert und mein Vater wollte in Osnabrück weiterstudieren. 1973 sind wir, meine Schwester, mein Bruder und ich, dann zum ersten Mal nach Deutschland gekommen.


Was war das erste deutsche Wort, das du gelernt hast?

Das Wort „Boot“. Wir sind über Frankfurt am Main nach Deutschland gekommen. Als wir am Hafen vorbeifuhren, zeigte mein Vater auf die Boote und sagte: „Schau mal, ganz viele Boote.“ Bei uns in Äthiopien heißt „botti“ Stiefel. Und ich dachte in dem Moment nur: Wo schwimmen denn hier bitte Stiefel?


Als du nach Deutschland kamst, warst du vier Jahre alt. Kannst du dich noch an deinen ersten Tag in der Kita erinnern?

Ja natürlich! Es war fürchterlich (lacht). Wir kamen ja aus einem ganz idyllischen Dorf in Äthiopien, wo es immer warm war. Und dann kommt man nach Osnabrück, im Herbst, wo es auch noch kalt ist und früh dunkel wird, wo die Menschen alle anders aussehen als wir und eine Sprache sprechen, die wir nicht verstehen. Das war schrecklich.


Also seid ihr ins kalte Wasser geworfen worden.

Ja, und wie viele Kinder es heute am ersten Tag auch machen, haben wir natürlich angefangen zu  weinen. Mein kleiner Bruder und ich, wir standen am Fenster und haben stundenlang geschrien. Mein Bruder ist ein Jahr jünger als ich. Zum Glück waren wir zu zweit. Heute lachen wir immer noch darüber. Wir haben uns dann aber fix eingelebt und vor allem schnell Deutsch gelernt. Selbst zu Hause haben wir nur noch Deutsch gesprochen. Nach den drei Jahren in Deutschland mussten wir wieder zurück nach Äthiopien. Blöd war, dass wir aber komplett unsere Muttersprache Oromo vergessen hatten.


Hast du bei deiner Rückkehr in Äthiopien weiterhin Deutsch gesprochen?

Zuallererst musste ich ja erst wieder Oromo lernen. Die Sprache war aber irgendwo im Gehirn gespeichert und kam auch recht schnell wieder zum Vorschein. In Äthiopien gingen wir auf eine deutsche Schule. Dort haben wir Deutsch und zu Hause dann wieder Oromo gesprochen.


Du hast aber noch viele andere Sprachen gelernt.

Ja, zwischenzeitlich mussten wir auf eine äthiopische Schule wechseln, in der Amharisch gesprochen wurde. Die Sprache mussten wir in der Schule neu lernen. In der vierten Klasse kam dann noch Englisch und später, als wir in Kenia waren, auch noch Swahili dazu. Es ist faszinierend, was man als Kind alles für Sprachen aufsaugen kann. Auch heute mit 46 Jahren merke ich, dass ich einen Riesenspaß an Sprachen habe. Wenn ich in ein neues Land komme, lerne ich sofort, wie man sich begrüßt und versuche einen Small Talk zu führen.


1976 musstet ihr wegen des äthiopischen Bürgerkriegs nach Deutschland fliehen. Wie empfandest du diese Rückkehr?

Zum einen hatten wir den Krieg im Kopf und in den Knochen, zum anderen hatten wir uns gewünscht wieder nach Deutschland zu kommen. Wir waren dort in Sicherheit und im Frieden – das war für uns einfach das Wichtigste.


Du kannst auch Plattdeutsch sprechen. Wie kam es denn dazu?

Als wir 1976 zurückkamen, waren wir in einem kleinen Dorf in Niedersachsen, wo Plattdeutsch gesprochen wurde. Plattdeutsch ist dann zu meiner Heimatsprache geworden.


Man kann dir ja auch bei der plattdeutschen Morgenplauderei „Hör mal’n beten to“ auf NDR beim Schnacken zuhören.

Ja, denn Regionalität finde ich extrem wichtig. Das sage ich deswegen, weil ich meine Heimat und meine Muttersprache liebe und ich es wichtig finde, dass man seine Wurzeln kennt. Erst dann ist man doch offen für andere Kulturen und weiß deren Wert zu schätzen. Es gibt auch kein Richtig oder Falsch und man kann nicht sagen, dass eine Kultur besser als eine andere ist – das wäre kompletter Schwachsinn.


Würdest du rückblickend sagen, dass du immersiv die deutsche Sprache gelernt hast?

Ja, absolut. Ich bin mit allen Sinnen in die Sprache und Kultur eingetaucht. Wenn man die Sprache beherrscht, kann man sofort Kontakt zu den Menschen aufnehmen. Das habe ich als Kind schon gelernt. Mein erster Kontakt mit der deutschen Sprache war aber nicht schwierig. Kinder denken da ganz pragmatisch: Sie wollen mit den anderen spielen und dann picken sie ein Wort nach dem andern auf. Kinder haben auch keine Vorbehalte und gehen immer ganz offen an die Sprache heran. Das bleibt, denn auch heute habe ich keine Hemmungen, wenn ich eine neue Sprache lerne.

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Presenter, author, singer and actor Yared Dibaba travelled around the world with Julia Westlake for the 2006 programme De Welt Op Platt (The world in ‘Plattdeutsch’) and hosted Talk mit Tietjen (Talking with Tietjen). He now lives with his family in Hamburg and presents the factual afternoon programme Mein Nachmittag (My afternoon) on NDR television and various radio shows on NDR 90.3. Alongside his books Mien Welt blifft Platt (Platt’ is still my world), Platt is mien Welt (Platt’ is my world) and Moin twosome (Hello, everyone), the 46-year-old also sings in ‘Plattdeutsch’. His new album is due for release in spring 2016


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AUTOR: IRIS RÖLL | PHOTO: SILKE WEINSHEIMER