Bei digitalen Geräten kommt es auf die Inhalte und den Kontext der Nutzung an

Im Gespräch mit Professor Dr. Christian Montag über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Digitalisierung. Im Rahmen des schuleigenen Diskussions- und Vortragsformats »Talking Phorms« war Montag zu Gast auf dem Phorms Campus München und referierte über »Ein Zuviel an Smartphone-Nutzung & Co.«
Autor: Luise Maron | Illustration: Friederike Schlenz | Foto: Elvira Eberhardt/Universität Ulm | 2019/1

Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der Digitalisierung von heute?

Prof. Dr. Montag Ich bin davon überzeugt, dass Digitalisierung per se weder gut noch schlecht ist. Es kommt vor allem auf die Art der Nutzung der digitalen Geräte/Inhalte und den Kontext an, wenn es zu einer seriösen Technik-Folge-Abschätzung kommen soll. Nutzen wir die Geräte in der richtigen Art und Weise, machen sie uns produktiv. Wenn ich beispielsweise in einer fremden Stadt unterwegs bin, nutze ich die Applikation Google Maps, denn damit komme ich schneller ans Ziel. Kurzum, das Gerät macht mich produktiver. Wenn ich in China arbeite, möchte ich gerne täglich meine Familie per Skype in Deutschland sehen. Es ist also auch eine Notwendigkeit, dass wir solche Geräte beziehungsweise Technik in einem mobilen, digitalen Zeitalter haben, wo besonders Flexibilität und Mobilität gefordert sind. Wir können durch die neuen Technologien einfach, schnell und direkt kommunizieren. Das sind tolle Errungenschaften, die die positiven Seiten der Digitalisierung zeigen.

Ab wann kippt die Produktivität mit digitalen Endgeräten?

Eine hochfrequente Smartphone-Nutzung kann in unproduktivem Verhalten münden. Denn die ständige Verfügbarkeit des Smartphones und der zahlreichen Applikationen verführt zur ständigen Benutzung und somit zu einer Fragmentierung unseres Alltags. Kontinuierliches Anschalten des Smartphones – und sei es nur, um die Uhrzeit abzulesen – löst eine regelmäßige Unterbrechung aus, die unsere produktive Arbeitszeit zerstückelt. Zudem werden viele Informationen nur noch oberflächlich verarbeitet, weil sogenanntes deep learning häufig gar nicht mehr stattfinden kann. Online-Zeitungsformate haben sich bereits darauf eingestellt und bieten oft eine gefettete Zusammenfassung an – Halbinformationen, sodass der Rezipient möglichst viel in kurzer Zeit, aber nahezu unreflektiert konsumiert. Mit der permanenten Smartphone-Präsenz haben wir uns eine Art fear of missing out antrainiert – die Angst, etwas zu verpassen – und vernachlässigen das spielerische »Nichtstun«, was wiederum ein wahrer Kreativitätsinkubator sein kann.

Wie können Eltern dazu beitragen, ein »Zuviel an Smartphone-Nutzung & Co.« zu vermeiden?

Eltern können Vorbilder sein. Beschäftigen sich Eltern selber permanent mit dem Smartphone, schlussfolgern die Kinder, dass das Gerät unglaublich interessant sein muss. Besonders Kleinkinder imitieren ihr Umfeld, wie seit den 60er Jahren durch die Albert-Bandura-Studien bestätigt. Man sollte versuchen, das Gerät zu einem großen Teil bewusst zu benutzen, das heißt zum Beispiel nur im Arbeitszimmer oder während der Arbeitszeit. Die Psychologie spricht hier von »Platzkonditionierung«. Das erfordert natürlich eine gewisse Disziplin, die auch mir nicht immer gelingt. Wenn wir im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie pro Woche täglich etwa zwei Stunden oder mehr mit dem Smartphone beziehungsweise dessen Apps (zum Großteil privat) verbringen, dann ist diese gemeinsame Zeit mit den Kindern unwiderruflich weg. Das Smartphone oder das Internet selbst sind meist nicht das Problem, sondern vielmehr der exzessive Gebrauch der Applikationen beziehungsweise deren Inhalte. Schauen Eltern immer aufs Handy, wird eine Art Kommunikations-Mauer aufgebaut und der Nachwuchs hat keine Möglichkeit, nonverbale Informationen (Lesen von Emotionen aus dem Gesicht) zu trainieren und zu entschlüsseln, weil stets das Gesicht der Eltern verdeckt wird.

Warum ist klassische, analoge Spielzeit wichtig für Kinder und Jugendliche?

Der Psychologieprofessor Jaak Panksepp konnte anhand elektronischer Stimulationsstudien am Säugetiergehirn zeigen, dass es sieben genetisch verankerte Emotionsschaltkreise gibt, die auch in unserer Spezies Sapiens eine zentrale Rolle spielen. Einer davon ist der Spieltrieb, der bei Säugetieren ein genetisches Grundbedürfnis darstellt. Tiere werden verhaltensauffällig, wenn sie nicht ausreichend spielen. Bei Kindern ist unter anderem das körperlich betonte Anfassen beim Spielen (Raufen, Toben und so weiter) zwischen dem dritten und zehnten Lebensjahr bedeutsam. Das Spielen schult die Grobmotorik, was durch zu frühen Digitalkonsum eingeschränkt werden kann. Wird die klassische Spielzeit frühzeitig durch Screentime ersetzt, entfällt diese Zeit für körperbetontes Spielen und das kann zu Problemen führen. Zudem erlangen Kinder durch klassisches Spielen soziale Kompetenzen, denn die direkte Interaktion lehrt Kinder Empathie. Ich vermute, dass es durch die Digitalisierung zumindest schwieriger wird, diese Grundkompetenzen zu erwerben oder weiter auszubilden. Langzeitstudien müssen das aber erst noch bestätigen. In jedem Fall besteht bei einem digitalen Endgerät für Kinder eine ständige Konkurrenz zwischen digitaler und analoger Spielzeit. Da Kinder sich selbst noch nicht so gut regulieren können wie Erwachsene, denke ich, dass möglichst wenig Zeit für Medienkonsum verwendet werden sollte. Allerdings spricht nichts dagegen, auch mal eine Runde auf dem Smartphone oder dem Computer zu spielen, wenn das Kind seine Hausaufgaben erledigt hat, gut in der Schule mitkommt und mit anderen Kindern ausreichend draußen spielt – das heißt, wenn seine grundlegenden Bedürfnisse nach dem Spieltrieb befriedigt sind.

Ab welcher Altersstufe würden Sie ein Smartphone empfehlen?

Die Frage möchte ich umformulieren zu: »Ab wann sollen Kinder ein eigenes Gerät haben?« Ich würde schätzen, dass Kinder ungefähr bis zum zwölften Lebensjahr kein eigenes Smartphone brauchen. Plattformen wie Instagram können gerade für Mädchen in Bezug auf eine idealisierte Körperbildwahrnehmung problematisch sein. Gefährlich bei der Social-Media-Nutzung ist auch der permanente soziale Vergleich. Durch Social Media wird suggeriert, dass das Gras woanders meist grüner ist. Erwachsene sollten das Smartphone und seine vielfältigen Applikationen aber nicht verteufeln, sondern Kindern auch von Anfang an verdeutlichen, dass soziale Medien eine geschönte Welt mit vielen Filtern zeigen und dass keiner perfekt ist. Deshalb halte ich es für wichtig, dass Kinder sich vor ihrem zwölften Lebensjahr durchaus schon gemeinsam mit ihren Eltern digitale soziale Plattformen anschauen.

Glauben Sie, dass die sich rasch vollziehende Digitalisierung uns überholen wird, wir uns also selber abhängen?

Ich glaube, das ist schon jetzt ein Thema, denn die Geschwindigkeit, mit der Dinge passieren und unsere Gesellschaft bereits maßgeblich verändert haben, ist evident. Es stellt sich die aktuelle Frage: Wie gestalten wir digitale Umwelt, damit sie unseren Grundbedürfnissen entspricht? Das betrifft unter anderem das Arbeitsplatzdesign, aber natürlich auch den privaten Bereich. Ich bin davon überzeugt, dass jenseits der menschlichen oder meiner persönlichen Neugierde diese Frage eines der zentralsten Themen der Neuzeit ist, weil es nicht nur um gesundheitspolitische Aspekte geht, sondern auch um ganz essenzielle Dinge in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns fragen, ob die Art und Weise, wie mediale Plattformen momentan existieren, nicht zu sehr unseren öffentlichen Raum beeinflussen. Und eine weitere wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wem gehören die ganzen Daten? Besonders im Internet, wo alles vernetzt und nachverfolgt werden kann, müssen wir darüber entscheiden, wem diese Daten gehören und was man aus diesen Daten ableiten darf. Angenommen, ich habe eine bestimmte Person noch nie gesehen und kenne nur ihre digitalen Spuren – daraus kann ich schon sehr viele Schlüsse ziehen und weiß ziemlich genau, wer diese Person ist. Das bringt bedeutsame Implikationen mit sich, wie Demokratieunterwanderung durch Filterblasen oder Echokammern. Ebenso werden Wahlkampfmanipulationen auf Social-Media-Plattformen stark thematisiert. Das alles sind fundamentale Themen, die uns umtreiben müssen.


Tipps

Bewusst versuchen, den privaten Medienkonsum zu verringern und digitale Endgeräte auch mal auszuschalten

»Analoges Nichtstun« und Gedanken schweifen lassen

Anstelle des Smartphones einen analogen Wecker benutzen

 

Und wieviel Zeit verbringe ich mit meinem Smartphone?

www.menthal.org

ist eine kostenlose, von Prof. Dr. Montag sowie Informatikern und Psychologen der Universität Bonn entwickelte App, die Smartphone-Nutzern unter anderem aufzeigt, welche Anwendungen sie am häufigsten nutzen. Die App ist Teil eines Forschungsvorhabens, das den Handygebrauch untersucht.

www.smartphone-addiction.de

ist eine kostenlose Selbsttestplattform, auf der Nutzer ihre eigenen Tendenzen zu einer problematischen Smartphone-Nutzung auch gesplittet für Facebook, Instagram, WhatsApp und Snapchat im Vergleich zu einer großen Nutzeranzahl zurückgemeldet bekommen. Die Analyse hilft, das eigene Verhalten besser einzuordnen.


Dr. Christian Montag ist Heisenberg-Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Seine Forschungsinteressen gelten unter anderem der Psychoinformatik, insbesondere dem Einfluss von Internet, Mobiltelefonen und Computerspielen auf Emotionalität, Persönlichkeit und Gesellschaft.


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Autor: Thomas Feibel | Illustration: Friederike Schlenz | Foto: Die Hoffotografen