Ein Interview mit Carol Dweck: Wie Lehrer die Motivation und den Erfolg ihrer Schüler fördern

Wie können Lehrer Schüler darin unterstützen, Herausforderungen anzunehmen, anstatt sich von ihnen überfordert zu fühlen? Carol Dweck ist bekannt für ihre wegweisende Forschung auf dem Gebiet der Motivations-, Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie. In diesem Interview fasst sie einige ihrer Überlegungen zur Bedeutung der Motivation beim Lernen zusammen
AUTOR: GARY HOPKINS, ERSCHIENEN IN EDUCATION WORLD | FOTO: SILKE WEINSHEIMER | 2016/2

Gary Hopkins:Manche Schüler betrachten Intelligenz als eine fest­stehende Charaktereigenschaft, als Qualität, mit der man geboren wird und an der man nichts ändern kann. Andere sehen Intelligenz als dynamisch an und haben ein sogenanntes dynamisches Selbstbild („Growth Mindset“). Sie haben die Vorstellung, dass jeder neue Dinge lernen und so seine Intelligenz „erweitern“ kann. In Ihren Studien wird offensichtlich, dass Schüler mit einem dynamischen Selbstbild besser mit Lernherausforderung klarkommen als Schüler mit einem statischen Selbstbild („Fixed Mindset“). Wie kann man diesen Umgang mit Lernherausforderungen bei Schülern mit einem statischen Selbstbild verbessern?


 

Carol Dweck: Sie haben recht. Schülern, die in der Intelligenz ein Potenzial sehen, das sie entwickeln können, ergeht es angesichts von Herausforderungen tatsächlich besser. Zum Beispiel blühen sie inmitten eines herausfordernden Schulwechsels oft auf, während ihre Klassenkameraden mit einer statischen Sichtweise mit Selbstzweifeln kämpfen und ihren Biss verlieren.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich Schüler aller Altersgruppen – von der Grundschule bis zur Hochschule – eine dynamische Sichtweise durch den Unterricht aneignen können. Schülern kann vermittelt werden, dass sie ihre geistigen Fähigkeiten entwickeln können – durch harte Arbeit, Lesen, Bildung und durch die Konfrontation mit Herausforderungen. Wenn ihnen diese Sichtweise beigebracht wird, scheinen sie ganz von alleine Herausforderungen zu suchen, mehr zu arbeiten und leichter mit Hindernissen fertig zu werden. Forscher (zum Beispiel Joshua Aronson von der University of Texas) konnten sogar zeigen, dass sich der Notendurchschnitt von Collegestudenten verbessert, wenn sie lernen, dass Intelligenz entwicklungsfähig ist.

Ich halte es für eine interessante Tatsache, dass diese Intelligenz-Konzepte ganz ohne Einfluss von außen relativ unabhängig von individuellen Unterschieden vorzukommen scheinen. Doch sie sind genauso leicht beeinflussbar, wenn Schülern in einer expliziten, überzeugenden Art eine alternative Sichtweise vermittelt wird.

Haben Sie in Ihrer Forschung eine deutliche Korrelation feststellen können zwischen der Erfolgsgeschichte einer Schülerin oder eines Schülers und seiner oder ihrer Fähigkeit, mit zukünftigen Herausforderungen umzugehen?

Carol Dweck: Das ist ein wirklich faszinierender Punkt. Man würde einen solchen Zusammenhang zwischen der eigenen Erfolgsgeschichte und der Fähigkeit, mit zukünftigen Herausforderungen umzugehen, erwarten. Man könnte meinen, dass die Schüler, die in der Vergangenheit erfolgreich waren, auch die Schüler sind, die sich Herausforderungen bereitwillig stellen und die Fähigkeit haben, mit ihnen konstruktiv umzugehen. Schließlich müssten sie durch vergangene Erfolge Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewonnen und alle Mittel zur Hand haben, um sich Schwierigkeiten zu stellen.

Doch tatsächlich gibt es keine Verbindung zwischen vergangenen Erfolgen und der Suche sowie Bewältigung von Herausforderungen. Das ist eines der überraschendsten Ergebnisse meiner Forschung. Vielmehr zeigt sich, dass die Fähigkeit, sich Herausforderungen zu stellen, nichts mit dem tatsächlichen Können zu tun hat, sondern eng mit dem Selbstbild zusammenhängt, mit dem man sich der Herausforderung stellt.

Manche Schüler – selbst einige der besten – fühlen sich von Herausforderungen bedroht; sie glauben, dass Fehler ihre Intelligenz in Frage stellen und knicken daher ein, wenn es schwierig wird. Sie hören auf, Spaß an einer Aufgabe zu haben und können sie daher auch nicht mehr erfolgreich bewältigen. Andere Schüler und sogar viele, die bisher Schwierigkeiten in einem bestimmten Fach hatten, hatten wiederum Spaß an Herausforderungen. Sie sehen darin eine Möglichkeit, etwas zu lernen und extrahieren wertvolle Informationen aus Fehlern. Deswegen sind sie meistens noch motivierter, wenn es schwierig wird.

Die meisten Pädagogen möchten, dass sich ihre Schüler selbst als „klug“ wahrnehmen. Sie loben die Intelligenz der Schüler, weil sie denken, wenn sich ihre Schüler selbst als klug wahrnehmen, sie auch ihr volles Potenzial entfalten. Aber gibt es andere oder bessere Botschaften, die Pädagogen ihren Schülern mitgeben können?

Carol Dweck: Ich war mir darüber im Klaren, dass es diese weitverbreitete Vorstellung gibt, ein Lob der Intelligenz von Schülern helfe ihnen auch dabei, sich klug zu fühlen und so ihr Potenzial auszuschöpfen. Aus den Ergebnissen jahrelanger Forschungsarbeit konnte ich jedoch schließen, dass gerade die verletzlichen Schüler mit wenig Selbstwertgefühl und Motivation auch jene waren, deren Gedanken immer um ihre Intelligenz kreisten. Sie machten sich die ganze Zeit diesbezüglich Sorgen. Sehe ich durch diese Aufgabe klug aus? Zeigt jene Aufgabe, dass ich dumm bin? Dadurch fiel uns auf, dass das Loben von Intelligenz möglicherweise den Schülern schadet. Es stellt die Intelligenz ins Rampenlicht und vermittelt Schülern so, dass diese wichtige Eigenschaft aus ihrer Leistung abgelesen werden kann.

Wir begannen, diese Hypothese durch weitere Forschungsarbeit zu testen. Claudia Mueller und ich führten sechs Studien durch, alle mit eindeutigen Ergebnissen. In diesen Untersuchungen gaben wir älteren Grundschulkindern eine Übungsaufgabe. Sie beendeten die erste Aufgabenrunde erfolgreich und erhielten Lob dafür. Die einen wurden für ihre Intelligenz gelobt, die anderen für ihren Fleiß. Es stellte sich heraus, dass die Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt wurden, zwar für kurze Zeit glücklich über ihren Erfolg waren, dieses Lob aber viele negative Nebeneffekte mit sich brachte – selbst nach wirklich bewundernswerten Leistungen. Im Gegensatz dazu zeigten sich bei Schülern, die für ihren Fleiß gelobt wurden, viele positive Effekte.

Erstens bemühten sich die Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, so sehr darum, intelligent zu erscheinen, dass sie anfingen, Angst vor Herausforderungen zu haben. Die meisten von ihnen zogen einen sicheren Erfolg einer herausfordernden Gelegenheit, etwas dazuzulernen, vor. 90 % der Schüler hingegen, die für ihren Einsatz gelobt wurden, suchten stattdessen die Herausforderung, wenn sie darin eine Lernmöglichkeit sahen.

Zweitens zeigte sich nach der Bearbeitung des zweiten, schwierigeren Aufgabensets, dass die Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, nun sagten, dass sie sich dumm fühlen würden. Das heißt, wenn der Erfolg ein Beweis ihrer Intelligenz gewesen war, war das Scheitern nun für sie ein Beweis ihrer Dummheit. Jede Selbstachtung, die durch das Lob aufgebaut worden war, stellte sich als sehr, sehr fragil heraus.

Im Gegensatz dazu sahen Schüler, die für ihren Einsatz gelobt worden waren, in dem Rückschlag keine Verurteilung ihres Verstandes, sondern einfach ein Zeichen für mehr erforderlichen Fleiß ihrerseits. Sie erkannten, dass eine schwierigere Aufgabe mehr Einsatz von ihnen fordert.

Drittens erzählten uns die Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, dass sie keinen Spaß mehr an der Aufgabe hätten und keine Übungsaufgaben mehr nach Hause nehmen wollten. Ein Gefühl des Scheiterns führte sie dazu, sich von einer Gelegenheit abzuwenden, ihre Fähigkeiten zu trainieren und sich zu verbessern. Im Gegensatz dazu neigten die Schüler, die für ihren Fleiß gelobt worden waren, eher dazu, weiterhin Spaß an der Übung zu haben und genau wie zuvor Aufgaben zum Üben nach Hause mitzunehmen. Tatsächlich hatten einige von ihnen sogar noch mehr Freude als zuvor an der Übung und waren umso entschlossener, sie zu bewältigen.

Viertens gaben wir den Schülern noch ein drittes Übungsset, das im Schwierigkeitsgrad dem ersten ähnelte, welches sie ja erfolgreich gelöst hatten. Die Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, lösten die Aufgaben deutlich schlechter als zuvor, während die Schüler, die für ihren Fleiß gelobt worden waren, deutlich besser abschnitten. Das heißt, die beiden Schülergruppen, die mit einer sehr ähnlichen Leistung gestartet waren, lagen nun weit auseinander.

Und schließlich, als sie die Gelegenheit erhielten, Schülern in einer anderen Schule von den Übungen zu erzählen, logen 40 % der Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt worden waren, über ihre Ergebnisse. Sie gaben an, besser abgeschnitten zu haben, als dies tatsächlich der Fall war. Dieses Verhalten zeigten nur sehr wenige der Vergleichsgruppe, die für ihren Fleiß Lob erhalten hatte. Dies deutet darauf hin, dass Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt werden, sich so stark mit ihrer Leistung identifizieren, dass sie sich von Rückschlägen persönlich gedemütigt fühlen und sogar einem anonymen Schüler, den sie nie treffen werden, nicht mehr die Wahrheit über ihr Abschneiden sagen können. Kurzum: Durch das Lob der Intelligenz fühlen sich Schüler zwar kurzfristig gut, es lässt sie aber Herausforderungen fürchten und behindert sie im Umgang mit Rückschlägen. Das Lob des Fleißes scheint Schülern einen handfesteren Begriff von sich selbst als Lernenden zu geben und vermittelt ihnen eine gesunde Lust an Herausforderungen sowie die Fähigkeit, effektiv mit Rückschlägen umzugehen.

Was bedeutet das alles? Bedeutet es, dass wir Schüler nicht loben sollten? Keineswegs. Wir sollten sie so viel und so oft loben, wie wir möchten, aber wir sollten die richtigen Dinge loben. Wir sollten den Prozess (den Einsatz, die Strategien, die Ideen, die in die Arbeit eingeflossen sind) loben, nicht die Person.

Wenn wir mit dem Loben der Intelligenz mehr Schaden anrichten, wie sieht es dann mit dem „Hochbegabt“-Label für Kinder aus? Könnte das auch mehr schaden als nützen?

Carol Dweck: Die Kennzeichnung von Kindern als hochbegabt kann manchmal mehr schaden als nützen. Das Label „hochbegabt“ impliziert, dass das Kind eine quasi magische Qualität (die Begabung) verliehen bekommen hat, die es besonders macht und in gewisser Weise wertvoller als andere Kinder. Manche Schüler laufen dadurch Gefahr, an diesem Etikett zu zerbrechen. Sie sorgen sich möglicherweise so sehr darum, diese Bezeichnung auch zu verdienen und haben solche Angst davor, dieses Label zu verlieren, dass ihnen ihre Lust auf Herausforderungen und ihr Spaß am Lernen darüber abhandenkommen. Möglicherweise fangen sie an, nur noch die Sachen zu machen, die ihnen leichtfallen und die sie perfekt können und schränken so ihr geistiges Wachstum ein.

Psychologen, die sich in ihren Studien mit kreativen „Genies“ beschäftigt haben, weisen darauf hin, dass der wichtigste Faktor bei der schöpferischen Leistung die Bereitschaft ist, auch angesichts von Hindernissen enorme Mengen an Energie und Zeit in das Erlangen und den Erhalt dieser Leistung zu stecken. Es wäre wirklich tragisch, wenn wir durch den Stempel „hochbegabt“ die kreativen Leistungen von Schülern einschränken würden.

Dies könnten wir allerdings verhindern, indem wir den Schülern deutlich machen, dass „hochbegabt“ nur bedeutet, dass sie durch harte Arbeit, viel Lernen und durch die Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten bemerkenswerte Leistungen hervorbringen können. Und das gilt natürlich für die allermeisten Menschen.

Ist es möglich oder sogar nötig, dass Lehrer ihren Schülern Selbstbewusstsein „beibringen“?

Zum größten Teil ist ein gutes Selbstwertgefühl nichts, das Lehrer ihren Schülern mitgeben können. Viele Lehrer glauben, dass sie ihren Schülern Selbstbewusstsein vermitteln können, wenn sie die Intelligenz ihrer Schüler loben. Meine Arbeit zeigt aber, dass das so nicht stimmt. Ich bin der vollkommenen Überzeugung, dass es wichtig ist, dass Lehrer ihre Schüler respektieren und ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie gesehen werden und man sich um sie kümmert. Davon abgesehen ist das Beste, was ein Lehrer für seine Schüler tun kann, ihnen die Einstellung zu vermitteln, dass sie selbst für ihr Selbstwertgefühl verantwortlich sind. Das heißt, Schülern beizubringen, Herausforderungen bereitwillig anzunehmen, mit ihnen umzugehen und aus Rückschlägen zu lernen.

Wenn Schüler lernen, Schwierigkeiten erfolgreich für sich zu nutzen und aus dem Erlernen neuer Fähigkeiten Kraft zu ziehen, können sie ihr eigenes Selbstwertgefühl auf konstruktive Art und Weise im Verlauf ihres gesamten Lebens fördern.

Welche Ergebnisse haben Sie in Ihrer langen Forschungskarriere am meisten beeindruckt?

Carol Dweck: In den 30 Jahren, die ich nun schon Forschung betreibe, hat mich die Macht der Motivation am meisten fasziniert. Motivation ist häufig viel wichtiger als die ursprüngliche Begabung und spielt eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, wie erfolgreich jemand auf lange Sicht ist. Tatsächlich wurden viele kreative „Genies“ nicht als solche geboren. Häufig handelte es sich um mehr oder weniger gewöhnliche Leute, die außergewöhnlich motiviert waren.

Unter Motivation verstehe ich hier nicht nur den Wunsch erfolgreich zu sein, sondern vielmehr den Spaß am Lernen, die Lust an Herausforderungen und die Fähigkeit, aus Hindernissen Chancen zu machen. Diese Einstellung ist das wohl größte Geschenk, das wir unseren Schülern mitgeben können.   

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Dieses Interview von Carol Dweck ist auf Education World erschienen, einer kostenlosen, unabhängigen Informationsquelle für Lehrer, Schulleitungen und -mitarbeiter. Das gesamte Interview können Sie hier nachlesen.


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