Wachstumsschmerzen in der YouToube-Szene

Auf den Videodays 2015 in Berlin im Mai feierte sich die YouTube-Szene zwei Tage lang selbst. Teenies mit komischen Frisuren treffen ihre Idole: Videoblogger mit merkwürdigen Namen. An der Größe des Events erkennt man auch die rasante Entwicklung der Szene
AUTOR & FOTO: SILKE BRANDT | 2015/2

 

Sie sind alle da: Y-Titty, Die Lochis, iBlali, Dner, Ardy, Izzi, Mr. Thrashpack, Joyce oder xLaeta. In langen Schlangen stehen die Fans in abgeteilten Gängen, um sich ein Autogramm zu holen und natürlich um ein Selfie mit ihrem Star zu machen. Selig stolpern Teenie-Mädchen danach in die Halle mit strahlenden Augen und einem versonnenen Lächeln auf den Lippen, einige haben Tränen in den Augen. Es geht sehr harmonisch zu auf den Videodays 2015 in Berlin.

Immer wieder sieht man in der großen Halle der Arena in Berlin-Treptow Menschentrauben, die sich um einzelne YouTuber bilden. Wer keine Karte für den Autogramm-Slot bekommen hat, kann seinem Star hier noch einmal ganz nah sein. Alle warten geduldig, bis sie dran sind. Es ist immer der gleiche Ablauf: Autogramm, Umarmung, Selfie.

Dass die Fans einem so nahe kommen, sei für ihn anfangs schon komisch gewesen, sagt Tommy, aber er habe sich daran gewöhnt. Tommy ist 25 Jahre alt und bei Applewar Pictures. Die YouTube-Gruppe macht Kurzfilme: Comedy, Sketche, Parodien auf Videospiele, Lego-Animationsfilme. Tommy hat auch einen eigenen YouTube-Kanal: extremetommy. Seit 2008 ist er dabei. Das Tolle an YouTube ist für Tommy, dass er mit einem Video so viele Leute „happy“ machen kann. „Die sagen: ‚Hey, mir geht’s durch die Videos besser.‘ Und ich denk mir: ‚Wow, das ist einfach toll, dass man den Leuten so eine Freude machen kann.‘“

Jill aus Hannover ist 15 Jahre alt und hat auch einen eigenen YouTube-Kanal: littjiee. Dort postet sie Comedy-Videos. Den Kanal betreibt sie seit etwa anderthalb Jahren. Rund 2.300 Abonnenten folgen ihren Videos regelmäßig. Auf den Videodays 2015 in Berlin ist sie zusammen mit ihrer Freundin Debbie. Die beiden sind mit einem Pappschild in der großen Halle unterwegs. Auf dem Schild steht „Free Hugs“, also kostenlose Umarmungen. Ständig laufen junge Mädchen auf die beiden zu und alle umarmen sich gegenseitig. Einige der Leute hier erkennen Jill sogar schon.

Jills Freundin Debbie ist 16 und freut sich, bei den Videodays zu sein, weil sie hier noch mehr Leute trifft, die auch YouTube-Fan sind. Sie freut sich, dass man YouTuber hier auch mal live sehen kann. Für Debbie ist YouTube interessanter als Fernsehen: „Man kann sich aussuchen, was man guckt, wie oft man das guckt, wie lang man das guckt und man ist nicht darauf angewiesen, was im Fernsehen läuft.“ Es gefällt ihr, dass nichts vorgegeben ist und jeder auf YouTube machen kann, was er will. Debbie findet auch, dass die YouTuber einfach bodenständigere Leute sind als die Leute im Fernsehen.

Debbies Lieblings-YouTuber ist Dner. Aber sie mag auch Beauty Gurus wie Xlaeta, My Style & Fashion oder Barbieloveslipstick. Für Menschen über 30 ist der wahnsinnige Erfolg einiger YouTuber oft nicht ganz leicht nachzuvollziehen. Es hat sich dort eine ganz eigene Sprache mit bestimmten Codes und einem bestimmten Humor entwickelt. Dabei gibt es unterschiedliche Arten von YouTube-Kanälen. Dner zum Beispiel ist berühmt für seine Videos, bei denen er seinen Bildschirm filmt, während er Videospiele spielt und dies kommentiert.

Dner heißt eigentlich Felix von Laden und ist 21. Er hat fast zwei Millionen Abonnenten. Das Trio von Y-Titty lieben die Fans für ihre Comedy-Videos. Der YouTube-Kanal hat mittlerweile mehr als 3,1 Millionen Abonnenten. Vor allem bei Mädchen beliebt sind die sogenannten Haul-Videos (haul: englisch für Beute). Dabei halten die YouTuber ihre Einkäufe in der Drogerie oder bei Modeketten in die Kamera und bewerten die Produkte. Besonders erfolgreich sind damit Bianca Heinicke mit ihrem Kanal BibisBeautyPalace und Sami Slimani.

Die YouTube-Szene ist so beliebt wie umstritten. Denn viele der YouTube-Stars bekommen mittlerweile die Produkte von den Unternehmen zugeschickt und bewerben diese in ihren Videos. Damit lässt sich natürlich eine Menge Geld verdienen. Das Problem ist aber, dass die Videos meist nur unzureichend als Werbung gekennzeichnet sind. Für die Fans ist es wichtig, dass ihre Stars bodenständig und authentisch bleiben. Dazu gehört auch, dass die Videos möglichst selbstgemacht und nicht zu professionell wirken. Obwohl teilweise große Vermarktungsfirmen hinter den YouTubern stehen, wirken die meisten Kanäle immer noch wie mit einer einfachen Webcam im Kinderzimmer gedreht.

Viele der Fans glauben, dass ihre Stars tatsächlich genauso sind, wie sie sich in den Videos prä- sentieren. Dass sich auch YouTube extrem professionalisiert und kommerzialisiert hat, wollen viele Nutzer und Fans noch nicht so richtig wahrhaben. Dabei sind mittlerweile viele der bekanntesten YouTuber bei den großen Vermarktungsfirmen, auch Netzwerke genannt, unter Vertrag. Die Netzwerke kümmern sich um die Professionalisierung der Online-TV-Inhalte und um die Vergrößerung der Reichweite. Auf ihrer Webseite schreibt die größte Vermarktungsfirma Mediakraft: „Neben Produktionsunterstützung, z. B. durch eigene Studios, bietet Mediakraft Networks weitere Dienstleistungen, wie Datenanalyse, Optimierung der Inhalte, technischen Support, Schulungen und Rights Management.“

Nach dem großen Hype gab es aber auch schon den ersten großen Zoff in der Szene. Berühmte Videoblogger wie LeFloid oder Unge haben Mediakraft den Rücken gekehrt. Dem Online-Magazin Krautreporter sagte Florian Mundt alias LeFloid dazu: „Heute werden Nachwuchs-YouTuber herangezüchtet mit dem Versprechen, sie würden der nächste große, geile Shit – und das betrifft jedes einzelne Netzwerk, nicht nur Mediakraft. Das Problem daran ist, dass man sich heute mit Nachwuchskünstlern auseinandersetzen muss, die einen anderen Antrieb haben als wir. Die gar nicht mehr eine intrinsische Motivation haben, sondern aufgepumpt und hochgezüchtet werden und sich dann fragen: ‚Warum zur Hölle hab ich nach 14 Tagen immer noch nicht 100.000 Abonnenten?‘“

Als Gegenentwurf, aber nicht als Konkurrenz zu den großen Netzwerken haben 15 YouTuber 2014 den Verein 301+ gegründet. Auf seiner Webseite schreibt der Verein, Ziel sei es, einen Unterschied zu machen, netzwerkübergreifende, unabhängige Projekte zu realisieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Vor allem will der Verein die Entwicklung mitsteuern: „Die Zukunft ist spannend. Und wir freuen uns auf das, was die Szene erwartet. Aber wir möchten die Zukunft mitgestalten.“ Unter den 15 Vereinsmitgliedern sind viele Größen der Szene, wie Florian Mundt alias LeFloid, Nilam Farooq alias Daarum oder die erste Vorsitzende Marie Meimberg, die früher selbst mal bei Mediakraft gearbeitet hat.

Die Szene leidet unter Wachstumsschmerzen. Es herrscht ein Nebeneinander großer Vermarkter und ihrer Stars auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stehen YouTuber, die sich die „gute alte Zeit“ zurückwünschen und gegen die Kommerzialisierung sind. Aber Videoblogger sind längst zu Stars geworden, die genauso weit entfernt sind von ihren Fans wie die TV-Stars.

Aus Schülern, die in ihrer Freizeit Longboard fahren und sich dabei selbst filmen, sind vollbeschäftigte Medienprofis geworden, die mit ihren Videos richtig viel Geld verdienen. Schlaue Manager, die früher im klassischen Mediengeschäft aktiv waren, haben das Potential von Online-TV erkannt und profitieren jetzt vom Hype. Die Videodays 2015 gehen mit einer gigantischen Bühnenshow zu Ende. Die Stars aus dem digitalen Netz performen ganz analog auf der Bühne der Arena. Gezeigt wird auch der Trailer von „Kartoffelsalat“. Die Masse tobt, die Fans kreischen. Die Komödie startet im Sommer in den deutschen Kinos. Neben deutschen Comedians wie Otto Waalkes oder Martin Schneider spielen viele bekannte YouTube-Stars mit: Dagi Bee, Bibi, Die Lochis, Y-Titty, Simon Desue oder Joyce. Einige YouTuber schaffen also den Absprung aus dem Netz in die klassischen Medien. Dahin, wo sie doch eigentlich nie hin wollten. Oder etwa doch?


Lesen Sie jetzt:

Faszination Social Media

Warum sind Jugendliche so fasziniert von Facebook, YouTube und co? Und warum präsentieren sie sich so gern im Netz? Mit Claudia Lampert, Expertin im Bereich Medienpädagogik, gehen wir diesen Fragen auf den Grund
2015/2
FOTO: SILKE WEINSHEIMER