Faszination Social Media

Warum sind Jugendliche so fasziniert von Facebook, YouTube und co? Und warum präsentieren sie sich so gern im Netz? Mit Claudia Lampert, Expertin im Bereich Medienpädagogik, gehen wir diesen Fragen auf den Grund
FOTO: SILKE WEINSHEIMER | 2015/2

 

Bildungsthemen: Woher kommt die Faszination für Social Media-Plattformen?

Claudia Lampert: Das ist sehr vielschichtig. Sicherlich rührt die Begeisterung zum einen daher, dass die sozialen Medien unterhaltsam sind und ablenken. Sie sind eine schöne Freizeitgestaltung und gestalterisch gut gemacht. Social Media-Plattformen bieten inzwischen ja auch viele Möglichkeiten, gerade im interaktiven Bereich, gestalterisch tätig zu werden. Es sind schon viele Facetten, die zusammenkommen. Es gibt Kinder und Jugendliche, die sich einfach unterhalten lassen wollen. Es gibt aber auch die, die durchaus das kreative Potenzial von Medien für unterschiedliche Dinge nutzen. Im Rahmen der Mediennutzung finden dann verschiedene Prozesse statt. Man kann sich über bestimmte Themen informieren, die einen interessieren im Rahmen der eigenen Entwicklung. Man kann sich sehr gut andere Lebensentwürfe anschauen. Vor allem kann man über soziale Medien mit anderen Menschen in Kontakt treten. 

Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen OnlineKommunikation und Face-to-Face-Kommunikation?

Im Grunde gibt es da keinen großen Unterschied, ob wir beide nun chatten oder telefonieren. Den wichtigsten Unterschied sehe ich im Bereich One-to-Many. Gerade wenn jüngere Kinder etwas posten und die Reichweite dieser Kommunikation noch gar nicht einschätzen können und nicht wissen, was die langfristigen Wirkungen sein können. Diese Problematik wurde ja schon häufiger diskutiert: Man postet etwas im Netz, das vermeintlich lustig sein soll, sei es ein Bild oder ein Text, und das verselbstständigt sich dann irgendwie. Das antizipieren Kinder natürlich noch nicht. Es gibt die Möglichkeit, etwas zu posten, und das finden sie witzig. Sie machen sich erst einmal gar keine Gedanken darüber, was das bei anderen auslöst, was mit diesem Post weiter passieren kann und wie er in Umlauf gebracht wird. Das ist etwas, wo es den Jüngeren immer noch an Reflexionsfähigkeit fehlt. Die Reflexion darüber, welche Folgen meine Kommunikation hat. Da fehlt dann auch das Gefühl für Angemessenheit der Kommunikation in bestimmten sozialen Kontexten. 

Hat das vor allem etwas mit dem Alter zu tun oder mit dem Medium, über das kommuniziert wird?

Im Online-Bereich ist vieles häufig schwieriger einzuordnen. Im direkten Gespräch überlege ich mir ja, was ich erzähle und ob ich Geheimnisse preisgebe. Es gibt da im Offlinebereich bestimmte Konventionen. Die gibt es im Online-Bereich auch. Aber gerade bei den Jüngeren fehlt es häufig noch an Fingerspitzengefühl. Die Hürden für Beschimpfungen sind auch niedriger, denn man sieht den anderen nicht. Da müsste eigentlich die Medienpädagogik ansetzen und den Jüngeren helfen, eine gewisse kommunikative Kompetenz zu entwickeln. Kinder experimentieren ja auch. Es fehlt dann manchmal das soziale Regulativ. Wenn sie zum Beispiel gröber werden in der Sprache, dann hilft es ja manchmal schon, wenn jemand sagt: ,Hey, das geht jetzt hier nicht. So etwas sagt man nicht.‘ Zu einem kompetenten Umgang mit den Medien gehört auch ein respektvoller Umgang miteinander.

Gibt es in der Medienpädagogik einen Erklärungsansatz dafür, warum die Grenze zwischen Online und Offline immer mehr verschwindet?

Warum die Grenze verschwindet, eher weniger. Das ist ja vielmehr eine Feststellung, dass man zwischen virtuellen und realen Welten nicht mehr so richtig unterscheiden kann. Man kann eher sagen, dass die digitalen oder sozialen Medien eine Verlängerung der Realität oder der Erfahrungsräume sind. Es gibt Erklärungen dafür, warum sie so eine große Faszination ausüben. Also zum Beispiel, dass man mit anderen in Kontakt stehen kann, dass man soziale Beziehungen eingeht und diese pflegt. Oder in dem Moment, in dem ich mich in sozialen Netzwerken bewege, setze ich mich ja auch ganz stark mit mir selbst auseinander. Das sind alles Dinge, die in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eine ganz zentrale Rolle spielen. Man hat sonst zum Beispiel immer gesagt: ,Soziale Medien bieten ja auch ganz viele Möglichkeiten der Beteiligung.‘ Da merkt man dann aber, dass die Möglichkeiten noch nicht so richtig genutzt werden von Kindern und Jugendlichen. Es geht eher noch darum: Wie stelle ich mich dar? Wie möchte ich eigentlich sein? Wie möchte ich von anderen gesehen werden? Also genau dieses Ding, das auf Facebook stattfindet, dass ich mir ein Profil einrichte und mir überlege, wie stelle ich mich jetzt dar, damit ich möglichst gut bei den anderen ankomme. Das hat ganz viel mit Identitätsentwicklung zu tun. Deshalb ist es auch bei den Jugendlichen sehr beliebt, weil es natürlich die ideale Plattform für solche Auseinandersetzungsprozesse bietet. 

Würden Sie sagen, dass sich da gerade eine Generation von Selbstdarstellern entwickelt?

Mit generalisierenden Urteilen sollte man vorsichtig sein. Aber wenn man auf Facebook unterwegs ist und sich das alles anschaut und sieht, wie überall Selfies gepostet werden, bekommt man schon den Eindruck, dass Jugendliche sich selbst gern zur Schau stellen. Die Möglichkeit, sich selbst zu inszenieren, ist auf jeden Fall ein Trend. Aber man hat in jeder Generation unterschiedliche Strömungen und Trends. Außerdem bilden sich generell immer sehr unterschiedliche jugendliche Subkulturen heraus, die Medien auch auf ihre Art und Weise nutzen.

Wie wichtig sind Social Media-Plattformen für die Identitätsfindung?

Für einige spielt das sicherlich eine große Rolle, dass man sich präsentieren kann und sich überlegt, wie man sich eigentlich darstellen will. Man hat dann schon eine Bühne, auf der man sich präsentieren kann. Wenn ich mich zum Beispiel mit meinen äußerlichen Attributen darstelle und ich bekomme dann als Feedback ,Hey, du siehst toll aus. Ich mag dich‘, dann hat das natürlich Einfluss auf die Identitätsentwicklung. Umgekehrt kann das auch negative Auswirkungen haben, wenn man sich in einer bestimmten Form darstellt und von allen Seiten dann negative Kommentare bekommt.

Soziale Medien stehen oft in der Kritik. Sehen Sie auch positive Aspekte?

Auf jeden Fall, gerade was die Wissensvermittlung angeht. Kinder und Jugendliche nutzen Unterhaltungsangebote wie Fernsehserien, das Internet und darunter Social Media-Plattformen jeden Tag. Diese Kanäle bieten viele gestalterische Möglichkeiten, was die Wissensvermittlung erleichtert. Die Wissensvermittlung geschieht auch nicht nur auf kognitiver Ebene. Oft findet auch eine emotionale Auseinandersetzung statt. Gerade bei Fernsehserien kann man das sehr schön sehen. Wenn ich mich als Jugendlicher mit einer Figur besonders identifiziere, dann setze ich mich auch mit ihr auseinander und entsprechend auch mit den Themen, die dieser Figur auf den Leib geschrieben sind. Man spricht hier vom Edutainement. Mit diesem Ansatz kann man bestimmte Zielgruppen, gerade eben Kinder und Jugendliche, mit bestimmten Themen ziemlich gut erreichen.

Gilt das auch für Computerspiele?

Im Computerspielebereich gibt es ja inzwischen dieses Label serious games. Diese Spiele nutzen im Grunde auch die Potenziale sozialer Medien oder auch interaktiver Medien, um einerseits Wissen zu vermitteln, aber andererseits auch Simulationen zu ermöglichen. Also, dass man innerhalb eines Spielgeschehens bestimmte Faktoren ändert und dann eben sehen kann, welchen Einfluss mein Handeln auf bestimmte Kontexte hat. Das kann der Spieler einfach so ein bisschen durchspielen und für sich erproben. Das regt natürlich schon auch Bildungsprozesse bei Kindern und Jugendlichen an, sich dann da auch mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen. Ob das Themen sind, die mit ihrer eigenen Person zu tun haben, oder ob es umweltbezogene, gesundheitsbezogene oder auch politische Themen sind, da kann man die Medien, die Kinder faszinieren, gut als Träger nutzen.

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Dr. Claudia Lampert ist seit 1999 wissenschaftliche Referentin am Hans-Bredow-Institut. Sie studierte Erziehungswissenschaften an der Universität Lüneburg und an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik.

Einer ihrer Themenschwerpunkte ist der Bereich Mediensozialisation und Medienpädagogik. In verschiedenen Projekten befasst sie sich mit der Rolle digitaler Medien in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen und im Familienerziehungsalltag.


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