Cybermobbing: Wie das Internet zum Alptraum wird

Was ist Cybermobbing überhaupt und woher weiß ich, ob mein Kind betroffen ist? Was muss ich tun, wenn es passiert und was können die Motive der Täter sein? Das und vieles mehr erklärt die Expertin Catarina Katzer im Interview
FOTO: SILKE WEINSHEIMER | 2015/2

 

Was ist Cybermobbing?

Catarina Katzer: Beim Cybermobbing wird eine Person gezielt geschädigt, zerstört, ausgegrenzt oder psychisch fertiggemacht. Der Hauptunterschied zum traditionellen Mobbing ist, dass das Mobben nicht im alltäglichen und realen Umfeld geschieht, sondern über das Internet oder das Smartphone.

Wie gehen Täter beim Cybermobbing vor?

Früher war das Mobbing nur textbasiert. Heute sind durch das Smartphone auch Videos und Fotos eine Mobbing-Waffe. Es werden beispielsweise kompromittierende Fotos ohne die Erlaubnis der darauf abgebildeten Person in Apps wie WhatsApp oder Instagram unendlich oft geteilt. Zudem macht der neueste Trend der Selfies, der zu einer sehr freizügigen oder sexistischen Selbstdarstellung beigetragen hat, Jugendliche noch angreifbarer. In sozialen Netzwerken wie Facebook werden auch falsche Profile mit gefälschten Daten angelegt oder bestehende gehackt. In diesen Netzwerken gründen sogenannte Cyberbullys auch ,Hassgruppen‘, um das Opfer zusätzlich zu verspotten und zu demütigen.

Wie viele Jugendliche sind von Cybermobbing betroffen?

Laut einer Studie, die ich für das Bündnis gegen Cybermobbing durchgeführt habe, kann man sagen, dass rund 20 Prozent der 14- bis 16-Jährigen schon einmal Opfer von Cybermobbing waren.

Was sind die Hauptunterschiede zwischen Face-to-Face-Mobbing und Cybermobbing?

Anders als beim klassischen Mobbing macht beim Cybermobbing meistens nicht ,nur‘ die Klasse oder Schule mit, sondern die ganze Online-Welt. Auch hat das Opfer keinen Schutzraum. Die Täter kommen durch den PC, das Handy oder andere neue Technologien sogar mit ins Kinderzimmer. Dadurch dass es keinen digitalen Radiergummi gibt, entsteht eine endlose Viktimisierung. Die problematischen Inhalte können immer wieder auftauchen, auch wenn sie von der ursprünglichen Plattform gelöscht wurden.

Ein weiterer Unterschied ist, dass Täter beim Cybermobbing das Opfer nicht direkt sehen und die Auswirkungen ihres Handelns nicht einschätzen. Dieser Faktor spielt im Netz aber nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen eine große Rolle. Sobald wir uns ins Netz oder in einen virtuellen Raum begeben, handeln wir anders und schätzen unser Handeln selbst auch viel seltener als kriminell ein.

Ist das der Grund, warum die Wortwahl von Tätern beim Cybermobbing oft sehr heftig ist?

Ja, denn dieses ,entkörperlichte Handeln‘ führt dazu, dass Hemmungen fallen und das Gefühl von Empathie nachlässt. Der Täter sieht nicht, wie das Opfer weint, die Tränen sind dennoch real. Hinzu kommt, dass durch den virtuellen Voyeurismus Internet-Nutzer weniger Skrupel haben und somit viel schneller zum Mitmachen verleitet werden.

Was ist die Motivation der Täter? Was haben sie davon?

Cybermobbing hängt mit dem traditionellen Mobbing zusammen. In der Mehrheit wird das Mobbing auf dem Schulhof im Netz weitergeführt. Umgekehrt werden Jugendliche, die auf dem Schulhof gemobbt werden, aus Rachegründen online zu Cybermobbing-Tätern. Studien beweisen, dass viele Täter auch aus Langeweile im Netz mobben oder sogar Spaß daran haben. Hinzu kommt, dass viele Nutzer zu Nachahmern werden. Sie erhoffen sich durch das Nachahmen einer populären Person eine Belohnung für ihr Verhalten in Form von ,Likes‘.

Wie merke ich, dass mein Kind betroffen ist?

Es ist ganz wichtig, auf Veränderungen zu achten. Wenn das Kind zum Beispiel seinen Tagesablauf oder sein Essverhalten verändert oder sich nicht mehr mit Freunden trifft, sollten Eltern hellhörig werden. Vieles hängt natürlich mit der Pubertät zusammen. Wichtig ist aber, dass man sein Kind auf diese Veränderungen anspricht.

Was können Eltern gegen Cybermobbing unternehmen?

Es ist vor allem falsch, mit Schuldzuweisungen oder einem Handy- und Internetverbot zu reagieren. Eltern und Kind müssen gemeinsam nach Lösungen suchen. Die Eltern des Täters sollten aufgesucht werden. Wenn die Situation sich durch ein Gespräch nicht verbessert, können die Schule und die Lehrer hinzugezogen werden. Zuletzt kann geklärt werden, ob polizeiliche Schritte eingeleitet werden müssen. Opfer sollten auch psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Cybermobbing ist eine schwere psychische Belastung für das Kind. Viele Opfer haben auch danach noch Probleme und Ängste, neue Freundschaften zu knüpfen.

Wie können Eltern vorbeugen?

Eltern müssen Vertrauen zum Kind aufbauen. Das Kind darf nicht das Gefühl haben, dass die Eltern es aushorchen, um ihm dann Dinge zu verbieten oder sie zu konfiszieren. Vielmehr müssen Eltern verstehen, dass diese neuen Technologien und Kommunikationsebenen zum Leben ihrer Kinder dazugehören. Sie müssen sich daher auch selbst mit dem Thema soziale Netzwerke auseinandersetzen. Die Kinder sind technisch zwar versierter, aber die Eltern haben die Lebenserfahrung. Alles, was im Netz passiert, geschieht auch im wahren Leben. Daher ist es sehr wichtig, auch hier seine Kinder nicht ohne Anleitung vor diesem Zugang in die Erwachsenenwelt stehen zu lassen.

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Dr. Catarina Katzer ist Sozialpsychologin und gehört zu den international führenden Forschern auf dem Gebiet „Cybermobbing und sexuelle Gewalt in der Internetwelt“. Sie ist als Expertin für Kommissionen des Europarates, des Deutschen Bundestages sowie Regierungsinstitutionen im In- und Ausland tätig. Sie ist Mitgründerin des Vereins Bündnis gegen Cybermobbing e. V. 


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