Alles Zucker!

Ein Interview mit Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. über das Zuviel an Zucker in der kindlichen Ernährung
Interview: Jasmin Priesnitz | Illustration: Friederike Schlenz | Foto: Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. | 2019/2

Die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) berichtete 2018, dass seit Mitte der 1970er Jahre weltweit die Fälle von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter angestiegen sind. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und die Deutsche Diabetes Gesellschaft haben das Konsensuspapier »Zur quantitativen Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland« herausgegeben, in dem sie unter anderem die Gefahren einer zuckerlastigen Ernährung erläutern.

Was sind mögliche Folgen von Übergewicht im jungen Alter, und welche Gefahren gehen mit einem zu hohen Zuckerkonsum für Kinder einher?

Die Ernährungsgewohnheiten werden in den ersten Lebensjahren geprägt. Übergewichtige Kinder sind häufig auch übergewichtige Erwachsene. Vor allem extrem dicke Kinder und Jugendliche nehmen immer weiter an Gewicht zu, therapeutische Programme sind nur begrenzt wirksam.

Zuckergesüßte Lebensmittel und Getränke sind meist nährstoffarm und enthalten unnötige Kalorien. Zudem erhöht Zucker das Kariesrisiko. Eine hohe und häufige Zuckerzufuhr fördert die Entstehung von Übergewicht, zahlreiche mit Übergewicht verbundene Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas und kardiovaskuläre Erkrankungen. Gesundheitsfördernd ist eine zuckerarme Ernährung.

Wieso sind so viele Kinder in Deutschland übergewichtig? Worin liegt das größte Problem bei der kindlichen Ernährung?

Kinder, die zu kalorienreich essen und trinken und sich zu wenig bewegen, werden trotz Wachstum übergewichtig. Die erbliche Veranlagung und das Ess- und Bewegungsverhalten der gesamten Familie spielen ebenfalls eine Rolle.

Interessanterweise haben Kinder, in deren Familien häufiger zusammen gegessen wird, einen geringeren BMI und ernähren sich insgesamt gesünder. Das zeigen Forschungsergebnisse des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Mannheim. Die Auswertung mehrerer Studien zur Qualität von Familienmahlzeiten hat ergeben, dass zum Beispiel auch eine gute Atmosphäre bei den Mahlzeiten für eine bessere Ernährungsgesundheit von Kindern sorgt.

Wie ungesund sind Fertigprodukte für Kinder? In welchen Produkten steckt Zucker, bei denen wir es nicht erwarten?

Fertigprodukte enthalten oft viel Zucker, Salz oder gesättigte Fettsäuren. Ein Blick aufs Etikett gibt nicht nur Aufschluss über die Inhaltsstoffe, sondern auch über das jeweilige Mengenverhältnis.

Zucker ist leider auch Lebensmitteln zugesetzt, in denen wir ihn eigentlich nicht vermuten würden, zum Beispiel Ketchup, Grillsoßen, Dressings oder Fertigmahlzeiten wie Pizza. Meist steckt sehr viel Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln und Fertigprodukten, insbesondere auch in Kinderprodukten wie Fruchtjoghurt, Fruchtquark oder Frühstückscerealien. Auch Nektare und Fruchtsaftgetränke enthalten viel Zucker.

Den Lebensmitteln zugesetzt wird der sogenannte freie Zucker. Welche Süßstoffe gehören dazu?

Der süße Geschmack von Lebensmitteln kann aus ganz unterschiedlichen Quellen kommen. Weitverbreitet ist der allgemein bekannte Haushaltszucker (Saccharose). Er wird häufig zugesetzt. Auch brauner Zucker, Honig, Agavendicksaft, Kokosblütenzucker, Sirupe sowie die Süße aus Früchten sind wie Haushaltszucker zu bewerten.

Muss Zucker in Deutschland auf den Produkten gekennzeichnet werden? Worauf lohnt es sich zu achten?

Lesen Sie die Lebensmittelverpackungen aufmerksam! Der Gesamtzuckergehalt ist auf allen verpackten Lebensmitteln im Rahmen der Nährwertkennzeichnung angegeben. Zucker erscheint jedoch nicht immer als solcher auf der Zutatenliste. Er kann sich hinter vielen Begriffen verstecken. Neben Zutaten, die »Zucker« im Namen enthalten, verwenden Lebensmittelhersteller süßende Zutaten, die mit ihrer kompliziert klingenden chemischen Bezeichnung zum Teil nur schwer als Zucker zu erkennen sind. Hinzu kommt, dass Hersteller nicht verpflichtet sind, die verwendete Menge der einzelnen Zuckerarten anzugeben. Eine Orientierung kann jedoch die Platzierung im Zutatenverzeichnis sein. Stehen Zuckervarianten dort weit vorn, deutet das auf einen hohen Gehalt hin. Leider ist eine Einschätzung des Zuckeranteils oft nicht möglich, wenn verschiedene Zuckerarten an unterschiedlichen Stellen im Zutatenverzeichnis stehen.

Ist ein zu hoher Konsum von zuckerhaltigen Getränken eine reale Gefahr für Kinder in Deutschland?

Ja. Experten machen heute den zu hohen Konsum von süßen Getränken (Limonaden, Brausen, Fruchtsäfte, Nektare, Eistee und sonstige Softdrinks) für die steigende Zahl übergewichtiger Kinder mitverantwortlich. Wenn Kinder zu viel Süßes trinken, können ein Energieüberschuss und infolgedessen ein erhöhtes Körpergewicht sowie größere Krankheitsrisiken die Folge sein. Da zuckergesüßte Getränke keinen Sättigungseffekt haben, führt ihr Konsum leicht zu einer zu hohen Energiezufuhr. Unabhängig von der Energiebilanz besteht ein größeres Risiko für Diabetes mellitus Typ 2.

Nektare, Fruchtsaftgetränke und insbesondere zuckergesüßte Erfrischungsgetränke sind generell nicht empfehlenswert, da sie viele Kalorien enthalten, nicht sättigen und in der Regel keine lebensnotwendigen Nährstoffe liefern.

Und wie sollten Eltern mit Fruchtsäften umgehen? 

Fruchtsäfte mit 100 Prozent Fruchtgehalt werden aus Obst gewonnen und enthalten viele Vitamine und Mineralstoffe. Sie liefern aber auch eine Menge Fruchtzucker und enthalten sehr viele Kalorien. Wenn ein Kind häufiger puren Saft trinkt, besteht die Gefahr, dass es mehr Energie aufnimmt als es braucht.

Wie können Eltern auf die Gefahr reagieren, dass ihre Kinder zu viel Zucker zu sich nehmen? Worauf müssen sie achten?

Grundsätzlich sollten für eine ausgewogene Ernährung überwiegend pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Vollkornprodukte sowie wenig verarbeitete Lebensmittel gewählt werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Verbrauchern in ihren 2017 aktualisierten »10 Regeln für eine vollwertige Ernährung«, Zucker generell einzusparen. Die Aufnahme freier Zucker lässt sich bereits reduzieren, wenn stark verarbeitete und zuckergesüßte Lebensmittel selten und maßvoll verzehrt und zuckergesüßte Getränke durch Wasser oder ungesüßte Tees ersetzt werden. Kinder sollten sich erst gar nicht an eine sehr hohe Zuckerzufuhr und den damit verbundenen Süßgeschmack gewöhnen. Speziell für Kinder beworbene Lebensmittel sind oft stark zuckerhaltig und deshalb überflüssig.


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Silke Restemeyer

hat Haushalts- und Ernährungswissenschaften an der Universität in Gießen studiert und ist im Referat Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. beschäftigt. Sie hat zwei Kinder im Alter von neun und vierzehn Jahren und wohnt mit ihrer Familie in Bonn.


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