Begeisterung – Der Lernturbo fürs Gehirn

»Begeisterung ist ansteckend« – Dr. Petra Arndt erklärt, wie Lernprozesse zustande kommen
Autor: Dr. Petra Arndt | Illustration: Anja Riese | 2018/2

Lustvoll und begeistert lernen – Eltern erinnern sich daran wie es war, als ihre Kinder zwischen zwei und vier Jahre alt waren. Kein Stein war zu langweilig, keine Ameise zu klein, um nicht das Objekt stundenlanger intensiver Untersuchungen zu sein. Unermüdlich wurde geübt bis der Turm aus Bauklötzchen stand oder das Dreirad sich endlich in die gewünschte Richtung bewegte.

Eltern von Schulkindern fragen sich zu Recht, wo diese Neugierde und die Freude am Entdecken geblieben sind. Schulunlust oder Tränen bei den Hausaufgaben kennen viele Eltern. Und doch erleben sie immer wieder auch Phasen, in denen sich ihre Kinder von jetzt auf gleich für ein neues Thema interessieren, sich intensiv mit etwas beschäftigen, plötzlich anfangen, Fragen zu stellen oder gar selbst nachzulesen. Es scheint also nicht am Kind zu liegen. Das kann sich ja doch für einiges begeistern – wenn auch nicht immer für die Themen, die die Eltern vielleicht für wichtig halten.

Aber wie kann das sein? Ist die Schule »schuld«, weil der Schulstoff unpassend oder zu schwierig ist? Ist die Gestaltung des Unterrichts das Problem?

Wie das Lernen neurobiologisch »funktioniert«

Eine korrekte Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Verschiedene Faktoren spielen beim Lernen eine Rolle. Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist Lernen nichts anderes als die Herstellung und Stärkung von Verbindungen zwischen Nervenzellen, den sogenannten Synapsen. Über diese sammeln Neuronen Informationen, verarbeiten sie und geben das Ergebnis weiter. Unser Gehirn, und damit unser Denken, Fühlen und Handeln, funktioniert dann am besten, wenn die »richtigen« Verbindungen gut und stark ausgeprägt sind. Was aber sind die »richtigen« Verbindungen und wie können wir deren Wachstum besser stärken?

Die richtigen Verbindungen sind diejenigen, die es uns erlauben, das gewünschte und zielführende Verhalten zu zeigen. Jeder Mensch hat seine eigenen Bedürfnisse, aus denen Ziele erwachsen. Eines dieser Ziele ist, dass unser Gehirn nach Wachstum und Erkenntnis strebt – bevorzugt in den Gebieten, in denen es besonders leistungsfähig ist, also Talent hat. Zugleich haben besonders Kinder auch immer den Wunsch, im sozialen Umfeld gut zurechtzukommen und passen sich daher den Anforderungen von außen an.

Bis vor ca. 40.000 Jahren lebten Menschen als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen. Die Umgebung bestimmte, was wichtig war und welche Fertigkeiten die Menschen brauchten. Kinder lernten durch Zuschauen und späteres Mittun. In diesen kleinen Gruppen musste nicht jedes Mitglied das gleiche wissen oder können. Vielmehr war von Bedeutung, dass jeder die Aufgaben übernahm, die er am besten bewältigen konnte, um dadurch seine besonderen Stärken auszubauen. So waren viele verschiedene Kompetenzen in der Gruppe vorhanden, die halfen, das Überleben zu sichern. Die in solch starken Gruppen lebenden Individuen gaben ihr Erbgut bevorzugt weiter. Dadurch haben sich bis heute verschiedene erfolgreiche Lernmechanismen vererbt.

Für unser Gehirn ist zunächst einmal das wichtig – und damit lernenswert –, was in der Umgebung häufig vorkommt oder passiert. Unser Nervensystem extrahiert ganz von allein die Regeln und Muster, die den wiederkehrenden Ereignissen in der Umwelt zugrunde liegen1. Gut verstehen lässt sich das am Beispiel des Spracherwerbs. Aus unzähligen gesprochenen Sätzen leitet das Nervensystem eines Kleinkindes die Struktur der einzelnen Worte und komplexe Regeln der Grammatik völlig ohne Unterricht ab.

Dieser Lernprozess funktioniert natürlich nur, wenn das Kind aufmerksam ist und sich dem Gesprochenen zuwendet. Dies geschieht vor allem dann, wenn es für das Kind interessant ist – so wie beim Spracherwerb. Denn kaum etwas ist für uns Menschen so relevant wie die Kommunikation mit anderen. Das bedeutet, wenn Schülerinnen oder Schüler sich für ein Thema begeistern können, dann ist der Lernprozess so einfach und natürlich, mühelos und kinderleicht wie das Erlernen der Muttersprache. Darum wünschen wir unseren Kindern eine echte Begeisterung beim Lernen, weil diese sie glücklich machen würde und auch noch viel besser und leichter lernen ließe.

Wenn man also für ein Thema begeistert ist, lernt man leichter. Damit es aber überhaupt dazu kommt, muss man sich für dieses Thema interessieren. Unser Gehirn verwendet verschiedene Kriterien, um festzustellen, ob etwas interessant ist1.

Begeisterung ist ansteckend

Wenn man noch sehr jung ist und gar kein Vorwissen besitzt, ist zunächst einmal alles interessant – je auffälliger, lauter und bunter, umso mehr weckt es die Aufmerksamkeit. Je älter man wird, umso mehr ist schon bekannt. Folglich ist zum einen nur noch Neues und Unbekanntes von Interesse.

Zum anderen kann man beobachten, dass Lehrkräfte, die sich selbst für ihre Fächerinhalte begeistern, Schüler regelrecht mitreißen können. Die Wissenschaft spricht hier von »Gefühlsansteckung«. Sich an Menschen mit einem Wissensvorsprung zu orientieren, ist ausgesprochen sinnvoll: Halten diese Menschen etwas für interessant, dann ist es das wahrscheinlich auch. Begeisterung lässt sich nicht einfach so spielen und zeigt sich in vielfältiger Weise: im emotionalen Ausdruck des Gesichts, in der Körperhaltung, durch raumgreifende Bewegungen in der Gestik, aber auch beim schlichten Durchschreiten des Raums, in der Wortwahl und der Intonation beim Sprechen.

Spezifische Hirnareale reagieren auf diese Faktoren2,3. Nur wenn alle oder wenigstens die meisten dieser Hirngebiete durch die Begeisterung der Lehrkraft aktiviert werden, erscheint sie authentisch und springt im wahrsten Sinne des Wortes in unser Nervensystem über. Bestimmte Nervenzellen in dem Hirnareal, das für unsere Körperwahrnehmung zuständig ist und andere, die sogenannten Spiegelneuronen, übertragen die bei anderen wahrgenommenen Zeichen der Begeisterung auf unseren eigenen Körper, unsere Mimik, Muskelspannung usw. Diese Veränderung bei uns selbst führt zu einer Veränderung unseres emotionalen Zustands. Aber Vorsicht: Ebenso leicht werden auch Langeweile, Gleichgültigkeit, Gereiztheit, Angst oder Ablehnung übertragen.

Mit guter Laune lernt es sich besser

Die durch ein Vorbild übertragenen und durch ein interessantes Thema oder einen anregenden Einstieg ausgelösten positiven Emotionen haben gleich zwei vorteilhafte Auswirkungen auf den Lernprozess: Sie übertragen die Begeisterung für das Thema selbst und verbessern zudem die Stimmungslage. Wie Prof. Markus Kiefer und sein Team der Sektion für kognitive Elektrophysiologie der Universitätsklinik Ulm zeigen konnten, sind an der Verarbeitung von Informationen je nach Stimmung unterschiedliche Netzwerke beteiligt. Bei guter Stimmung ist die Verarbeitung elaborierter, das heißt es sind mehr Hirnregionen beteiligt und das Gelernte kann für längere Zeit abgerufen werden4. Allein diese Ergebnisse zeigen, dass mit Druck, Angst und zu hoch gesteckten Forderungen, die leicht Überforderung und neue Ängste auslösen, das Lernen eher behindert aber keinesfalls unterstützt wird.


Erfolgserlebnisse setzen Glückshormone frei

Was aber unterstützt das Lernen tatsächlich? Begeisterung, Interesse und eine Lernsituation, die frei ist von Angst vor Fehlern, in der auch Spaß und Fröhlichkeit ihren Platz haben und in der Bloßstellung, Spott und Häme nicht geduldet werden, sind somit extrem förderlich1. Der absolute Anreiz für das Gehirn aber ist der Erfolg, der bei einer erfolgreichen Handlung durch das hirneigene Belohnungssystem in Gang gesetzt wird. Stolz, Freude und Begeisterung lassen nicht lange auf sich warten – das passiert allerdings nur, wenn das Ergebnis einer Handlung besser ist als erwartet. Stellen wir uns also neuen Herausforderungen und meistern diese erfolgreich, dann setzen Kerngebiete im Mittelhirn den Botenstoff Dopamin, das »Glückshormon« frei, welches dann große Teile des Gehirns überflutet. Neben der emotionalen Wirkung ist mit der Dopaminausschüttung eine Verstärkung der Synapsen verknüpft. All die Verbindungen, die vor der Ausschüttung des Dopamins aktiv waren, werden verstärkt und zu intensiverem Wachstum angeregt1. Hat man etwa zum ersten Mal den Fußball ins Tor geschossen, die Torte perfekt verziert oder sonst ein subjektiv als bedeutsam empfundenes Ziel erreicht, dann werden genau die Nervenverbindungen zum Wachstum angeregt, die an der vorangegangenen Handlung beteiligt waren. Zusätzlich sorgt das Glücksgefühl dafür, dass wir diese vorherigen Handlungen schneller und gerne wiederholen, wenn sich die Gelegenheit bietet, um wieder die positiven Gefühle des Gelingens zu erleben, sodass erfolgreiches Verhalten immer besser trainiert wird. Unser Gehirn differenziert allerdings nicht, ob das erfolgreiche Verhalten sinnvoll war – wenn ein Schüler Hausaufgaben abschreibt und sie dem Lehrer brav vorlegt, greift das Dopaminsystem ebenso und belohnt diese Tat, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind diese Aktion wiederholt, erhöht wird.

Um aber überhaupt ein Erfolgserlebnis zu haben und Begeisterung zu spüren, muss man etwas tun – passives Herumsitzen und »Konsumieren« von Lerninhalten bietet sich als Grundlage hierfür eher nicht an. Aktivitäten, bei denen man Erfolg haben kann, sind also gefragt. Dabei darf nicht unterschlagen werden, dass auch das Denken eine Tätigkeit ist. Viele Schüler lieben es, rein gedanklich aktiv zu sein und haben Erfolgserlebnisse, wenn sie ein Problem theoretisch durchdrungen oder die Lösung gefunden haben. Wir alle kennen diesen Aha-Effekt. Andere Schüler bevorzugen Aktivitäten, bei denen sie etwas untersuchen oder zum Beispiel ein Experiment durchführen können. In all diesen Situationen muss klar erkennbar sein, welches Ergebnis als Erfolg zu werten ist. Nur wenn sich der Erfolg direkt nach der Handlung einstellt und vom Lernenden auch erkannt wird, führt das Dopamin dazu, dass diese Handlung tatsächlich besser behalten und das »Richtige« gelernt wird.

Wichtig für den Dopamin basierten Lernerfolg ist ein klar erkennbares Ziel, dessen Erreichen den Erfolg ausmacht. Dieses Ziel muss auch vom Lernenden als bedeutsam und erstrebenswert bewertet werden, sonst handelt es sich um reines Abarbeiten einer Aufgabe.

Zum Glück muss der Erfolg nicht unbedingt in der Aufgabe bzw. deren Lösung selbst liegen. Vielen Schülern ist es ziemlich egal, welche Zahl die Lösung einer mathematischen Gleichung ist. Oft liegt das Ziel einfach in einem »gut gemacht«, in der Bestätigung des richtigen Vorgehens und vor allen Dingen in der sozialen Zuwendung und Anerkennung der Leistung. Soziale Zuwendung ist neben dem Erfolg von Handlungen ein sehr wirksamer Auslöser für die Freisetzung von Dopamin. Daher sind neben der eigenen Begeisterung das zeitnahe Lob und die Anerkennung erbrachter Leistungen die wichtigsten Werkzeuge aller Erwachsenen, die sich um die Entwicklung und das Lernen unserer Kinder kümmern.


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Dr. Petra Arndt ist seit 2008 am ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen an der Universität Ulm tätig. Ihr Ziel ist es, die Ergebnisse der Neurowissenschaften, Psychologie, Pädagogik und verwandter Forschungsfelder zu verbinden und für die Gestaltung von Bildungsprozessen nutzbar zu machen.


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