Familie auf Zeit

Seit 2001 nimmt die Familie von Ursula Weißenfels regelmäßig Austauschschüler bei sich zuhause auf. Sie hat uns erzählt, warum das so großen Spaß macht und welchen Einfluss die Gastschüler auf das Familienleben haben
FOTO: PRIVAT | 2014

 

Frau Weißenfels, Sie sind seit vielen Jahren immer wieder Gastmutter. Wie viele Austauschschüler haben Sie insgesamt schon aufgenommen?

Ursula Weißenfels: Bei uns waren bisher zwei Schüler aus Brasilien, ein Schüler aus Ecuador und drei Schüler aus Japan. Die waren alle zwischen zehn und zwölf Monaten bei uns. Für jeweils sechs Wochen waren eine Schülerin und ein Schüler aus Australien, einige Franzosen und ein Mädchen aus der Slowakei zu Gast. Weil Hagen eine russische Partnerstadt hat, nehmen wir auch jedes Jahr für einige Wochen russische Medizin- und Pädagogikstudenten auf.


Ist es nicht anstrengend, immer wieder jemand Fremdes in der Familie aufzunehmen und sich an ihn zu gewöhnen?

Nein, das finde ich nicht. Ich glaube ein entscheidender Faktor ist, dass mein Mann und ich als Studenten immer in Wohngemeinschaften gelebt haben. Für unsere wir haben zwei Töchter und einen Sohn, war das sicherlich manchmal ganz schön anstrengend, so häufig neue Austauschschüler in der Familie aufzunehmen. Da flogen manchmal beim Mittagessen ganz schön die Fetzen. Aber dadurch gab es auch immer sehr spannende Diskussionen. Und jeder lernt auch Toleranz.

Haben die Austauschschüler auch Ihr Zusammenleben als Familie verändert?

Ja auf jeden Fall. Es bringt erst einmal riesigen Spaß. Man erweitert sein Wissen und seinen Horizont. Man lernt nicht nur etwas über andere Länder sondern auch über sein eigenes Land. Uns hat das auf jeden Fall auch als Familie gut getan. Wir haben zum Beispiel unseren ersten Gastschüler alle zusammen in Brasilien besucht. Die Familie hatte uns eingeladen. Und auch den Schüler aus Ecuador

haben wir zusammen besucht. Es ist ja eher selten, dass Teenies mit ihren Eltern noch in den Urlaub fahren wollen. Aber dadurch, dass wir das alle spannend fanden, haben wir das dann zusammen gemacht. Und man hat einfach immer gemeinsame Themen über die man spricht und diskutiert, mal abgesehen von den alltäglichen Dingen sprechen wir auch viel über Probleme, die es in anderen Ländern gibt.


Was für einen Einfluss hatte es auf Ihre Kinder, dass Sie Gastschüler aufgenommen haben?

Für meine Kinder war es ganz toll zu sehen, dass es in der Fremde ganz gut sein kann, wenn man bei einer netten Familie ist. Meine Tochter ist 2002, ein Jahr nachdem wir die erste Gastschülerin aus Australien bei und aufgenommen hatten, für sechs Monate in die USA gegangen. Und als wir zusammen unseren Gastschüler in Brasilien besucht haben, hat es unserem Sohn so gut gefallen, dass er sich entschlossen hat, ein Jahr dort in der Familie als Austauschschüler zu bleiben. Nach dem Abitur in Deutschland hat er dann noch ein Freiwilliges Soziales Jahr in Brasilien gemacht und hat wieder bei seiner alten Gastfamilie gelebt.

Wie hat sich ihr Weltbild durch die Austauschschüler verändert?

Man bekommt einen ganz anderen Blick für sein eigenes Land. Das sind oft ganz banale Dinge. Mit der Familie aus Ecuador, die uns besucht hat, waren wir zum Beispiel im Konzert. Ein Symphonie-Orchester kannten die vorher nicht. Ganz witzig fanden die, dass der Dirigent sich am Ende beim Kapellmeister bedankt, ihm die Hand schüttelt und von der Bühne geht. Dass der Dirigent das aber fünf, sechs Mal macht, so lange wie das Publikum klatscht, war für die ganz ungewohnt. Wir haben dann auch überlegt, was soll das eigentlich und warum machen wir das so?

Kam es denn auch mal zu Missverständnissen auf Grund kultureller Unterschiede?

Oh ja. Der Brasilianer saß in der Küche und schniefte ganz laut. Irgendwann war ich ziemlich irritiert. Ich hab ihm dann eine Packung Taschentücher auf den Tisch geworfen und gesagt: ‚Willst Du dir nicht

endlich mal die Nase putzen?’ Er hat mich erstaunt angeschaut und sich die Nase geputzt, aber nichts gesagt. Ich hab ihn dann ein paar Tage später gefragt, warum er in der Situation so komisch geguckt hat. Er hat mir dann erklärt, dass man sich in Brasilien nicht die Nase putzt, dass das verpönt ist. ‚Wir ziehen hoch’, hat er gesagt.

Bei welcher Kultur haben sie denn die Unterschiede am stärksten gespürt?

Also Japaner sind schon sehr distanziert. Ein interessantes Erlebnis hatte ich mit einem japanischen Gastschüler. Ich hatte erzählt, dass unser bester Freund Krebs hat. Da fing er an zu lachen. Das fand ich erst einmal ziemlich unhöflich und unverständlich. Dann habe ich aber später erfahren, dass Japaner in solchen Situationen lächeln, um dem Gegenüber negative Gefühle und Mitleid zu ersparen. Ein anderes Erlebnis war sehr positiv. Er hatte Probleme an seiner ersten Schule und wollte gern wechseln. Er hat dann mit mir darüber gesprochen und gesagt: ‚Hier in Deutschland kann ich darüber sprechen, in Japan könnte ich das nicht.’ Wir haben dann dafür gesorgt, dass er auf eine andere Schule kommt und dafür hat er mich dann in den Arm genommen. Und auch zum Abschied hat er mich ganz fest gedrückt. Das hat mich sehr gefreut, denn für Japaner ist das schon etwas sehr Besonderes, die sind da normalerweise eher distanziert und haben so gut wie keinen Körperkontakt mit Menschen, die ihnen nicht ganz nahe stehen.

Gibt es bestimmte Dinge, die sie mit Ihren Gastschülern unternehmen?

Wir versuchen auf jeden Fall immer den Austauschschülern ein bisschen was von Deutschland zu zeigen. Wir fahren dann zum Beispiel zu Freunden nach Berlin, wo wir alle zusammen übernachten können. Und Weihnachten ist natürlich immer ein Highlight. Da gibt es dann gute deutsche Küche, ich mache Gans und koche Knödel, ebenso ein ganz traditionelles Weihnachtsessen. Und wir gehen alle zusammen einen Weihnachtsbaum schlagen und schmücken den gemeinsam. Aber wir feiern nicht nur Weihnachten sehr traditionell wegen unserer Gäste, sondern auch Ostern, mit Eierbemalen und -verstecken. Alle Austauschschüler müssen mir ein paar „landestypische“ Eier bemalen - ich habe Eier mit dem Zuckerhut in Rio, dem Cotopaxi, das ist ein Vulkan in Ecuador und mit japanischen Mangafiguren.

Stellen Sie bestimmte Regeln auf?

Eigentlich sind wir am besten damit gefahren, dass wir keine Regeln aufstellen. Meine Devise ist, wer nicht über die Stränge schlägt, der darf abends auch mal weggehen und auch ein Bier trinken. Ich habe da nur gute Erfahrungen gemacht. Ansonsten lautet die einzige Regel bei uns, dass man sich so benehmen sollte, wie man sich eben in einer Familie benimmt. Alle helfen ein bisschen mit im Haushalt. Der erste Brasilianer der bei uns war, hat gesagt er kann nicht putzen, aber bügeln. So hat er dann unsere Wäsche gebügelt. Er meinte, das bringt ihm Spaß. Eine Regel gibt es doch. Die Schüler sollen nicht soviel mit ihren Familien telefonieren. Das macht Heimweh und ist nicht gut.

Was raten Sie anderen Familien, die einen Gastschüler aufnehmen möchten?

Man sollte auf jeden Fall offen sein und sich vorher mit der Kultur des Gastschülers auseinandersetzen und sich informieren. Ein eigenes Zimmer ist auch hilfreich. Ansonsten kann ich nur sagen, dass es sehr viel Spaß bringt und einen unheimlich bereichert.

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Open Door International e.V. ist eine gemeinnützige Organisation, die seit 1983 Auslandsaufenthalte für junge Menschen in und aus aller Welt organisiert. Das Auslandsjahr, Kurzeitprogramme und Freiwilligenarbeit vermittelt der Verein mit Sitz in Köln. Auch für ein Voll- und Teilstipendium können sich Schülerinnen und Schüler bei Open Door International bewerben. Außerdem werden immer wieder Gastfamilien gesucht, die bereit sind, junge Menschen bei sich aufzunehmen.

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