Spiel mit Sprache!

Ist Jugendsprache eine eigene Sprache? Und wie verändert sich Sprache? Einer, der das genau unter die Lupe genommen hat, ist der Sachbuchautor Nikolaus Nützel. Im Rahmen des Hamburger Lesefestes „Seiten - einsteiger“ war er zu Gast auf dem Phorms Campus Hamburg
FOTO: LISA JOHANNA THIELE | 2016/1

 

Wer glaubt, dass „Der Zauberlehrling“ von Goethe aus dem Jahr 1797 nicht in die heutige Zeit gerappt werden kann, wird auf dem Phorms Campus Hamburg eines Besseren belehrt. Unterlegt mit lauten Beatbox-Rhythmen ertönt: „Walle! Walle! Manche Strecke | Daß [sic], zum Zwecke | Wasser fließe | Und mit reichem, vollem Schwalle | Zu dem Bade sich ergieße.“ Die Beatboxen sind die rund 80 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 5 bis 9 des Hamburger Phorms-Gymnasiums. Der Rapper, der Goethes Verse auffrischt, heißt Nikolaus Nützel. In der Rap-Szene ist Nützel eher unbekannt. Vielmehr kennt man den deutschen Journalisten und Autor durch Beiträge im Bayerischen Rundfunk, im Deutschlandfunk oder als Autor von Jugendsachbüchern.

Im Rahmen des Hamburger Lesefestes „Seiteneinsteiger“ erklärt Nützel Jugendlichen in Form eines interaktiven Vortrags, was man alles aus Sprache machen kann und woher sie kommt. Sein Vortrag baut auf seinem Jugend- und Sachbuch „Sprache oder Was den Menschen zum Menschen macht“ auf.

„Ik gihorta dat seggen“, sagt Nützel zu seinem Publikum. Die Schülerinnen und Schüler schauen den Journalisten verblüfft an. „Das ist das Hildebrandslied, einer der frühesten poetischen Texte. So in etwa könnten die Leute früher auf Althochdeutsch gesprochen haben“, so Nützel. Nach einem zweiten, langsameren Aufsagen verschwinden auch schon die Denkfalten in den Gesichtern der Schüler.

„Seggen könnte ‚sagen‘ bedeuten“, sagt Jette aus der 8. Klassen. Ihre Bemerkung ist richtig. Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie „seggen“ zu „sagen“ wurde.

Auf diese Frage fehlt sogar so manchem Erwachsenen eine Antwort. Doch Nützel gibt seinem jungen Publikum kreative Erklärungen zum Thema Sprachwandel. Er las während seines Studiums in Spanien auf einem Kinoplakat den Filmtitel „Cocodrilo Dundee“. Erst sei er von einem Tippfehler ausgegangen. „Doch mein Dozent sagte mir, dass ‚Cocodrilo‘ das spanische Wort für Krokodil ist. Wenn ein Wort von vielen Sprechern benutzt wird, kann es passieren, dass die Buchstaben wandern. Wörter werden auch manchmal hochgeworfen und wieder aufgefangen.

Das daraus entstandene Wort kann sich dann in der Sprache festigen“, erklärt Nützel. Unterschiedliche Sprachen in Europa könnten so entstanden sein.

Diese vereinfachte Erklärung wird in der Sprachwissenschaft detaillierter er - läutert. Doch schon dieser Ansatz reicht aus, damit die Schülerinnen und Schüler ihren Sprachgebrauch reflektieren. Sie bemerken auch, dass Sprache etwas Kostbares und Wandelbares ist.

Wörter wie „Boah“, „Digger“, „Kippe“ und „geil“ seien auch so entstanden, erklärt der Autor. Sprachwandel ist ein fortlaufender Prozess, der auch heute stattfindet. Im Jahr 2011 wurde zum Beispiel das Wort „Swag“ vom Langenscheidt-Verlag als Jugendwort des Jahres gekürt. „Swag“ leitet sich von dem englischen Verb to swagger (prahlen, stolzieren) ab und steht für eine coole Ausstrahlung. Hier wurde ein englisches Wort in die deutsche Sprache aufgenommen und trägt zum Wandel der deutschen Sprache bei.

Ein neues Phänomen, das Nikolaus Nützel betrachtet, ist, dass Jugendliche immer häufiger ihre Sätze willkürlich mit den Worten „keine Ahnung“ beginnen. Hier scheint ein neues Füllwort zu entstehen. Auch würden Jugendliche zunehmend Wörter verschlucken. „Man versteht euch trotzdem, wenn ihr sagt ‚Kann ich die Milch?‘“, sagt Nützel.

Das bestätigt auch das Jugendwort 2014, das gleich aus drei Wörtern besteht: „Läuft bei dir“. Dieser Satz bedeutet so viel wie „cool“ oder „Du kriegst alles hin“. Hier werden das Subjekt und ein Adverb wie gut oder schlecht einfach weggelassen. Redner und Zuhörer wissen trotzdem, was gemeint ist.

Jette wundert sich und fragt, ob dann so ein Satz korrekt ist. „Heute noch nicht. In Zukunft aber vielleicht schon. Ihr könnt mit Sprache machen, was ihr wollt. Hauptsache, ihr kennt ihre Regeln“, sagt Nützel.

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Sprache oder Was den Menschen zum Menschen macht

von Nikolaus Nützel

Ein wissenswertes Jugendsachbuch über die menschliche Sprache und Kommunikation, verständlich aufbereitet und reich illustriert. Ab 12 Jahren.


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